Sonntag, 31. März 2013

Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 19. Teil, Ort, die sowjetische Garnison in O / Unterkunft von Chukin Lepzin am Morgen des 11. Tages.

Chukin Lepzin trauerte um einen guten Freund. Nein, nicht um Oberst Vadim Sokolow, seinen ehemaligen Ausbilder, der war ihm über die Jahre nicht so ans Herz gewachsen, er trauerte um Bai Marko Bella, den Bulgaren, den Chefpiloten der Antonov 225 und seiner Crew.
Wie lange kannte er ihn eigentlich schon, den lustigen großen Typen aus dem sonnigen Bulgarien, der ihm manchmal wie ein Mädchen in seiner ganzen Art vorkam, der ihn immer auf ihren Feindeinsätzen ins Cockpit holte, um eine gute Flasche Wein zu köpfen, so einen der feurig – süßen Melnik-Weine, die er in schöner Regelmäßigkeit aus seiner Heimat mitbrachte. Und war er nicht ein ganz stolzer Mann aus Thrakien, so wie dieser Spartakus, der sogar aus seinem Dorf, diesem früheren Meduis und der heutigem Stadt Sandanski zu entstammen schien, so wie er einmal erzählte? Sein herzhaftes Lachen wird ihm in Zukunft fehlen, sein Optimismus, aber auch in noch so verzwickter Situation nicht zu verzagen, und stets den Überblick behalten zu haben, auch wenn schon die Weinflasche auf längeren Flügen durch eine Andere ersetzt worden war.
Was war überhaupt geschehen am Morgen vor drei Tagen, als sie diesen Abdul Sulaiman, dem Älteren, dem König unter den Gefürchteten an diesem Staudamm im Sulaimantal das Handwerk legen sollten?
Das hatte er noch nie erlebt und die bösen Zeiten in Nordvietnam kamen ihn in den Sinn, wo er aber eigentlich immer nur in der Beobachterrolle Tot und Elend des Krieges hautnah miterlebt hatte.
Die Fallschirme der Männer öffneten in mehreren hundert Metern Höhe, da hörten sie eine Explosion über sich und die große Antonov verwandelte sich in einen Feuerball und stürzte in einem Trümmerregen weit von ihnen zu Boden. Das musste eine Raketenbauart so ähnlich unserer Fla- Raketen gewesen sein, die den schweren Vogel mitsamt seinem Freund und dem Oberst vom Himmel geholt hatte und eine unbändige Wut stieg in ihm auf ob dieser Ratte Sulaiman und seinen amerikanischen Helfern. Er würde sie zerquetschen, zermalen wie Mehl zwischen seinen großen Händen, da war es sich so sicher wie das Amen in der Kirche. Der Rückweg war somit abgeschnitten und da fiel ihm eine Randnotiz ein, die der Aufklärer, dieser Iwan Thunterhorschof immer an den Rand der Unterlagen kritzelte. Das war so eine Macke von ihm….er schrieb etwas, wie…“es ist nicht euer Krieg, Männer, es ist der Krieg des Charlie Wilsunse und seinen Stinger-Raketen.“ und dann waren da noch eine Menge Abkürzungen…Chukin hasste Abkürzungen von diesem Thunderhorschof und der war wohl nur zu faul, um auszuschreiben. Nein, eine Stinger war das nicht, dieses neumodische kleine Zeug, was ein Mann alleine von der Schulter abschießen konnte, das Ding musste mehr Power haben.
„Und wer war verdammt noch mal Charlie Wilsunse?“ Chukin zerbrach sich noch am Fallschirm hängend den Kopf, aber er kam nicht darauf, und beschloss, sollte er das hier alles lebend überstehen, er würde sich diesen Iwan auf der nächsten Klassenfeier Zuhause im fernen Moskau greifen und ihn ausquetschen wie eine Zitrone. Denn dummerweise ging der Schlaukopf noch in seine damalige Klasse und es gab schon damals nichts, was der Knabe nicht wusste, nur bei den Mädchen, da machte er immer einen Rückzieher, der kleine Feigling…aber Chukin konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen, denn der Erdboden näherte sich rasend schnell und er sah seine Männer sofort Deckung suchen, denn es feuerte aus allen Ecken und Leuchtspurgeschosse zischten an ihm bedrohlich nahe vorbei..
Und er sah auch bereits leblose Körper der Kämpfer an Fallschirmen hängen, die ungebremst auf den Boden auf schlugen , und der Schmerz zerriss ihn fast innerlich, die Männer so sterben zu sehen.
Noch nicht mal die fairsten Regeln der Kriegsführung wurden hier eingehalten von diesen rebellischen Mudschahedin aber sofort kam sekundenschnell noch ein zweiter Gedanke, der ihn selber an seiner eigenen Aussage zweifeln ließ…“.Krieg, befand man sich überhaupt schon im Krieg mit diesem Volk?“
„ In was für einen Hexenkessel waren sie diesmal geraten“, und er suchte hinter der schweren Technik Schutz, die Sekunden vor ihnen an den riesigen Lastenfallschirmen relativ sanft aufgeschlagen war. Jetzt war er froh, den ganzen stählernen Krempel mitgenommen zu haben und nicht auf Kandows Rat eingegangen war, unnützen Ballast Zuhause zu lassen.
Die Männer sammelten sich um ihn, krochen aus allen Richtungen heran und die Motoren der Luftlandepanzer heulten auf, die Ketten lösten sich von ihren stählernen Transportschlitten und mahlten sich im afghanischen Boden ganz langsam vorwärts, um den Männern dahinter Schutz zu bieten, die mit ihnen auf die Feuernester am Rande des Tales zurobbten. Ohrenbetäubende Abschüsse aus einem halben Dutzend Panzerrohren zerfetzten den schon nicht mehr so stillen Morgen und Chukin war Soldat genug um sein Handwerk sofort zu beginnen..
Dieses Unternehmen endete trotz alledem in einem Fiasko, denn Sulaiman, dieser Wirrkopf musste wohl die Zündschnüre verwechselt haben und sprengte sich und den Staudamm in die Luft und sie konnten von Glück sagen, im höher gelegenen Gebiet wie der Wasserspiegel des Staussee gelandet zu sein, denn Chukin konnte für sein Leben nicht schwimmen.
Nur das wiederum wusste Iwan nicht…ja, wer war nun der Feigling von uns Beiden, und Chukin musste schmunzeln bei dem Gedanken
Das fiel ihm aber erst am Abend ein, als die schweren Kampfhubschrauber sie wieder aus dem Tal ausflogen, die man in der Not angefordert hatte.
Einen Wehmutstropfen gab es noch, denn aus einem Nebenarm der Bergschluchten, die sie umgab, startete ein Doppeldecker…wohl der Waffenlieferant der afghanischen Kämpfer und sein bester Schütze der Einheit gab Dauerfeuer mit seinem schweren Maschinengewehr und holte ihn vom Himmel.
In den Trümmern fand man die Papiere der Zitrone, dieses Captn John Eric Deltain, diesem amerikanischen Agenten mit deutscher Abstammung und noch einen Schuhkarton mit Glückwunschkarten für einen gewissen „Berliner“ zu seiner 2000sten Lieferung von Sturmgewehren.
„ Na warte, dachte Chukin, wenn ich dich kriege, doch da fiel ihm der Satz dieses amerikanischen Präsidenten ein, der so in Etwa lautete: „Ich bin ein Berliner“, und Bilder von dieser Frontstadt Berlin kamen ihm in den Sinn, er sah die jubelnde Menge und sein Zorn verrauchte sofort wieder, denn der Mann hatte es ja damals ehrlich gemeint, so sagte einmal der Pope Stawri auf einer seiner Predigten und Chukin ging gern in die Kirche, nur um öfters mal die Seele baumeln zu lassen.
Da fiel ihm ein, er wollte noch zu Dina, sie in ihrem Schmerz um ihren Mann trösten und er zog die Stiefel über aber mitten in der Bewegung hielt er inne…er war sich jetzt schon nicht mehr so sicher, ob sie seinen Trost überhaupt noch brauchte?

Sonntag, 24. März 2013

Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 18. Teil, Ort, das Dorf Zweedorf im 500- Meter Schutzstreifen im Morgengrauen des 11. Tages.

Der Soldat lag neben ihr, hatte das Deckbett fast über die Ohren gezogen und schnarchte ganz leise vor sich hin. Susanne Baumann dagegen war wach, hellwach und versuchte zu rekonstruieren, was gestern Abend überhaupt geschehen war. Es war dieser Rumtopf, er war an allem Schuld und der Auslöser und sie war ihm überhaupt nicht böse, ganz im Gegenteil. Denn sie fühlte eine innerliche Entspannung wie schon seit ewigen Zeiten nicht mehr, seit im letzten Jahr ihr längerer fester Freund Reinhard so einfach aus ihrem Leben getreten war, mit dem Ende seiner Soldatenzeit , als wäre es die normalste Sache der Welt ganz einfach verschwunden war. Dazwischen kamen Andere wie der kleine lustige aber draufgängerische Mario, der immer meinte, „ Einer der Stetlinger“ zu sein, so als wäre er vom sozialistischen Adel, dieser Typ aus Thüringen, den sie ab und zu noch sah, wenn er bei Begegnungen aus seinem LO herüberwinkte oder auch mal anhielt, um eine ganze Weile mit ihr zu plaudern.
War sie deswegen ein „ Grenzerflittchen“, so wie die Alten hinter vorgehaltener Hand im Konsum flüsterten? Nein, sie war eine junge selbstbewusste Frau von 24. Jahren und zu einer Frau gehört ein Mann, so oder so ähnlich hatte Großmutter immer zu ihr gesagt, als sie noch ein kleines Mädchen war. Nur das sie eben noch nicht den Richtigen gefunden hatte, er war ihr einfach noch nicht über den Weg gelaufen.
Die Pille machte es unkompliziert und gesund waren sie alle, diese jungen Grenzsoldaten und nein, sie wollte einfach keine Langweiler im Bett, so wie den „schönen Matthias“ aus Boizenburg, der Chefaufreißer im Klubhaus, dessen Schnauze größer wie sein Ding war, also wenn schon denn schon musste es einer sein, so wie der junge unbedarfte Russe, der jetzt neben ihr lag und dessen Gesicht gerade im Traum wie zu lächeln schien.
„ Susanne Ruhluff“, nach Reinhard seinem Nachnamen, so hätte sie heute eventuell mit Familiennamen geheißen, sie dumme Kuh und nur gut, das ihr rechtzeitig ein Licht aufging, das da noch eine zweite Frau war, in einer fernen Stadt im Sächsischen. Wann hatte sie ihn eigentlich das erste Mal gesehen, diesen blonden Soldaten im Trupp des Nachfolgers ihres Vaters und ihr fiel das Klubhaus in Boizenburg an diesem heißen Sommertag im Jahr 1976 ein.
Dort hatte er sie aufgefordert zum Tanz und er ließ sich einfach nicht abwimmeln, so dass ihre Freundinnen schon blöde Bemerkungen machten wegen seiner Hartnäckigkeit.
Anfangs war sie nicht so erbaut aber er tanzte besser wie die Jungen aus ihren Freundeskreis und drehte sogar im Discorhythmus alleine seine Runden, wenn ihr nicht gerade nach tanzen war, und es störte ihn überhaupt nicht, dabei von den Anderen neben der Tanzfläche begafft zu werden wie im Zoo.. Er überhörte einfach ihre blöden Bemerkungen, so als wären ihm die ganzen Landeier Luft und nur einmal packte ihn einer der Boizenburger Jungen in seinem Suff an der Uniform und betitelte ihn als schwule Kantentunte aber da waren sofort Soldaten von seinem Tisch auf der Tanzfläche und der Einlassdienst musste eingreifen, so das die Situation nicht eskalierte. So als schien er in einen Traum versunken, drehte er sich nach dem Klang der Musik von Karat und das gefiel ihr, seine jungenhafte Unbekümmertheit, die sie an einen Schauspieler erinnerte, nur der Name fiel ihr jetzt nicht ein. Oh ja, er war schon ein Schauspieler aber das merkte sie erst später, als sie ihn zum ersten Mal mit dieser älteren Frau in Boizenburg sah.
Er war anders als die Anderen und er konnte reden, reden wie ein sprichwörtliches Buch so das ihr schon ganz schwummrig im Kopf wurde, was der viele Alkohol dann noch extrem verstärkte und irgendwann waren sie dann draußen und er nahm ihre Hand und zog sie über die Straße ins Elbvorland zwischen die dichten Büsche auf die riesige Rasenfläche.
Er ließ überhaupt keine Widerrede zu und es war ihr auch egal, so betrunken und leicht wie sie sich beide fühlten und es war schön im Elbvorland zu liegen, eigentlich schon im 500- Meter Schutzstreifen mit einem Grenzer, der wie ausgehungert schien und auf einmal kaum noch redete und nur noch machen wollte, an ihr rummachen wollte und sie an ihm nicht weniger.
So ergab eines das Andere, die Zeit schien hinter einem der Büsche schon längst und für immer verschwunden zu sein und sie hätte ewig so liegen können mit ihm, wenn da nicht eine Stimme, wohl die eines Unteroffizier gerufen hätte, die zum Aufbruch drängelte und auf einmal schienen die Büsche neben ihnen zu erwachen wie aus dem Dornröschenschlaf, Uniformen und Kleider wurden in aller Hast geordnet und zugeknöpft, eine Ladeklappe von einem LO klappte mit lautem Knall nach oben und wurde verriegelt und was ihr damals blieb, war ein Name und ein Ort, sein Name und der Stab in Noostorf, dem ehemaligen Arbeitsplatz ihres Vaters..
„Na fein“, dachte sie und das kann ja heiter werden. Nun war er auch noch im Minentrupp von diesem jungen Nachfolgers ihres Vaters und ihn, ihren Vater wollte sie nicht fragen, wusste sie doch, dass er berufliches und persönliches nicht so gern miteinander verband.
Nun begann eine sehr schöne Zeit und irgendeiner musste da ständig nachgeholfen haben, denn sie trafen sich öfters, nur soviel KU ( Kurzurlaub)bekam kein Mensch, geschweige denn ein ganz normaler Grenzsoldat und sie schob es auf seine Gefreitenbalken und den Einfluss ihres Vater, der aber auch nie einen Ton sagte, immer nur lächelte, wenn sie sich ausgehfertig machte, um Reinhard zu treffen.
Er wusste wohl, wie es um sie bestellt war, und nur die Mutter zog ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter und meinte immer, sie vernachlässige über die Männer ihr eigenes Kind, das aber bei den Eltern gut aufgehoben war, wenn sie Montag Morgens zur Tür hereinschneite, glücklich und wie ausgelassen nur ein paar Worte wechselten., ehe sie immer auf Arbeit in die Fliesenfabrik musste.
Die Wochen vergingen wie im Flug und der Sommer neigte sich seinem Ende zu, da bekam er auf einmal keinen Ausgang und sie war so naiv zu glauben, es hinge mit einer Erkältung zusammen, die er vorgeschoben hatte.
Ihr Vater machte ein ernstes Gesicht, so wusste er doch die ganze Zeit schon um Reinhards Doppelleben was so viel hieß wie hier die Geliebte und da im fernen Sachsen Ehefrau und Kinder. Aber er wollte wohl das kleine Glück seiner Tochter so lange wie möglich beschützen, obwohl er genau wusste, dass dieses nicht von Dauer sein würde.
Junge, was war sie blöd zu glauben die Einzige zu sein.

Samstag, 16. März 2013

Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 17. Teil, Ort Berlin- Lichtenberg, Haus 1, Haus des Ministers am Nachmittag des 10.Tages, dem 7. August 1977

Die Männer um Oberst Alfred Bergemann saßen im Kreis. „ Was wir haben ist nicht viel“, meinte Einer und „ unsere russischen Freunde sind dieses Mal keine große Hilfe“.
„Da muss noch mehr sein“ meinte ein Anderer und betrachtete das Foto, was heute früh mit Kurier vom Volkspolizeirevier in O. übersendet wurde und nun vor ihm auf der Tischplatte lag.
„Dieser Elite- Soldat oder besser Offizier, denn es kann sich laut den uns vorliegenden Informationen nur um einen solchen handeln, also er hat den Kohlenzug noch in der Julinacht vor der Einfahrt ins Grenzgebiet wieder verlassen, so vermute ich einmal, denn dafür spricht diese sprichwörtliche Ruhe im westdeutschen Blätterwald, die Aasgeier hätten es an die große Glocke….gehangen, so Bild, Stern, Spiegel nichts, da kam aber nicht so viel.“., und er erntete allgemeines Kopfnicken in der Runde.
„ Wie heißt die Grenzübergangsstelle auf dieser Hamburger Strecke“, fragte der Oberst jetzt?
„ Schwanheide, die GÜST Eisenbahn heißt Schwanheide, Genosse Oberst, meinte Gisbert Wolzow.
„ Dann müssen wir in dieser Gegend suchen, Genosse Wolzow aber unauffällig, leiten sie alles in die Wege, und machen sie mir um Gottes Willen nicht die Pferde scheu“.
„ Ich habe hier schon eine Liste der Grenzkompanien im Elbabschnitt angefordert, Genosse Oberst…wenn ich kurz zitieren dürfte…ich bitte darum, meinte der Angesprochene.“
„ Also, von Nord nach Süd wären das Zweedorf, die 1. GK, dann Nostorf, der Stab 1.Grenzbataillon, gefolgt von Horst, die 7. GK und GÜST Straße, dazu noch die GÜST Wasser Cumlosen, weiter Bahlen, die 2.GK, dann Haar, die 3.GK, weiter Kaarßen, die 8.GK über Tripkau, die 4.GK kommen wir nun zu Dömitz, dort gibt es mehrere Standorte, so die 9.GK, der Stab 2. und 3.Grenzbataillon sowie die 8. Pionierkompanie.“
„ Nicht zu vergessen, die Sicherstellungskompanie und die Bootskompanie, dann weiterhin noch Wootz, die 5.GK und Gandow, die 6. GK“., und der Vorleser faltete den Zettel zusammen.
„ Ich vergaß noch zu erwähnen, dies alles beinhaltet einen Bereich von gut 85 Kilometern Wassergrenze und einiges an Land“.
„ Gute Arbeit, Genosse Wolzow“, meinte der Oberst und straffte seine Uniform.
„ Bitte darf ich….hob einer der Anwesenden die Hand…sie dürfen, Genosse Dzermonski und Feliks Dzermonski entnahm seinem Aktenordner ein Blatt.
„ In diesem weiter nördlich gelegenen Regiment 24 im Bereich der 1. Grenzkompanie Aulosen war doch erst vor gut einem Jahr , in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai 1976 dieser Zwischenfall mit einer Person, die an der Anlage 501 schon öfters Demontagen versucht hatte, diesem Manuel Gartenschlöger und sollten wir nicht die Genossen, die damals diese Angelegenheit zur vollen Zufriedenheit des Ministers gelöst hatten, wieder dorthin entsenden, so als Erntehelfer getarnt“?
Der Vorleser erntete in der Runde allgemeines Gelächter und selbst der Oberst konnte sich ein Schmunzeln um die Mundpartie nicht verkneifen.
„ Bitte, bitte, meine Herrn, ich möchte doch um Sachlichkeit bitten und was der Genosse Dzermonski angeschnitten hatte, ist gar nicht so von der Hand zu weisen, zumal wir in den Tagen vor den Feierlichkeiten zur Errichtung unseres antifaschistischen Schutzwall absolut keinen Ärger in dem vom Genossen Wolzow zitierten Elbabschnitt gebrauchen können“.
Aber der Oberst lehnte sich gleichzeitig gemütlich zurück und meinte: „ Die wenigsten von ihnen haben ja diesen Tag bewusst miterlebt, die“ Operation 13. August“ in diesem Jahr 1961, und ich sage ihnen, es war beste Urlaubszeit, so wie heute, unsere westdeutschen Politiker und Staatssekretäre sonnten sich auf Palma de Mallorca und sonst wo und Genosse Walter Ulbricht, möge er in Frieden ruhen, also er hatte schon das richtige Gespür, um den Gegner völlig zu überrumpeln…wieder allgemeines Gelächter und der Oberst winkte mit der Hand ab, und bitte Genosse Kind, der eigentlich mit Spitznamen Kids hieß, so nach der englischen Bezeichnung…sie wollten vorhin noch…etwas sagen“.
„Ist er nicht jüdischer Abstammung, so wie ich aus meinen Unterlagen dieser Martha Schuster herauslese und besteht damit nicht die Möglichkeit für ihn, bei seinen jüdischen Freunden abzutauchen, Unterkunft oder nennen wir es Asyl zu suchen sagte Kind?“
„Ich habe einmal recherchiert, also der Kreis Hagenow/ Ludwigslust beherbergt eine jüdische Gemeinde, in der wir schon seit Jahren eine gute und zuverlässige Quelle platziert haben, die bis zum heutigen Tag wertvolle Informationen liefert“. Zumal, dieser Mann ist Friedhofsgärtner und betreut mehrere Gemeinden im Umland, , hilft also auch auf evangelischen Friedhöfen aus, wo Not am Manne ist“.
„ Aber da ist noch ein Fakt, den wir nicht aus den Augen lassen dürfen, er ist nicht nur Jude, der Offizer sondern einer, der mit Frauen gut kann, denn unsere Informationen lauten auf einen Beziehungskonflikt mit der Frau seines Ausbilders in der sowjetischen Garnison, der doch der Auslöser für dieses Entfernen von seiner Einheit gewesen sein muss und dieser Oberst Kandow….entschuldigen sie, Oberst, wenn ich es so unverblümt ausspreche, er scheint seine schützende Hand noch darüber, über seine Männer zu halten, das verstehe, wer will.?“
Ohne auf diese Bemerkung einzugehen„fragte der Oberst: „Also vermuten sie, Genosse Kind, das er bei einer Frau Unterschlupf suchen würde, weil er sich das weibliche Geschlecht versteht?“
„Korrekt, Genosse Oberst, so wollte ich es formulieren“, meinte Kind.
„ Er ist doch ein ausgebildeter Elitekämpfer, also kein normaler Wehrpflichtiger und würde demzufolge erst reagieren, wenn man ihn die Enge treibt“, so warf jetzt ein junger Genosse ein, und einige pflichteten seinem Einwand zu aber Oberst Bergemann war zu müde, um auch noch diese brisante Seite der Angelegenheit zu beleuchten.
„ Genug für heute, Genossen, leiten sie alle notwendigen Schritte ein, starten sie die Suchaktion unter der Deckbezeichnung“ Die große Reise“ aber mit Ruhe, wenn ich bitten darf“, er straffte seine Uniform und erhob sich und das Besprechungszimmer leerte sich, nur Gisbert Wolzow blieb am Fenster stehen und schaute zu einer Schulklasse in den Innenhof, er zählte um die 17 Schüler und der Oberst trat neben ihn und meinte:“ Wenn der Minister nicht wörtlich…Ich liebe sie doch alle,…. dann würde er nicht seine Nachmittage für unsere wertvolle junge Kampfreserve der Partei opfern“
„ Darf ich offen sprechen, Oberst und der meinte…ich bitte darum, Wolzow, wir sind doch unter uns“.
Nehmen wir diese jungen Leute da unten, so wie sie da stehen, werden sie später einmal sehr unterschiedliche Lebenswege einschlagen, der Eine vielleicht an der Werra sein Glück suchen, einige werden an unserer Staatsgrenze ihren Dienst tun, ganz normale Soldaten und LO-Fahrer werden, eventuell Politoffiziere, Grenzaufklärer oder sogar desertieren, so wie der Große da unten, der mir eher wie ein Mädchen aussieht oder sie werden unsere Geschichte aufarbeiten, so als Historiker und sehen sie die Mädchen da, die Blonde mit der Ausstrahlung des Nordlichtes und die Andere mit dem Kleid, das wie ein Trachtenkleid geschnitten ist, sie werden vielleicht sogar mit ihren Eltern unser schönes Land verlassen.
Diese zwei, die da etwas abseits der Gruppe stehen am Eingang Normannenstraße…sehen sie die, Wolzow und der nickte: „ Also der Kleinere sieht mir wie ein Jungpionier aus und der Andere, der fröhliche Blondschopf mit der Schildkröte auf der Jacke wie ein zukünftiger Seemann unserer Handelsmarine, und sie könnten Außenseiter werden…weil sie sich so abseits der Gruppe halten…und Wolzow schüttelte den Kopf, mit Verlaub, das glaube ich nicht, Oberst.
„Vertrauen sie einem alten Mann, mein junger Freund und vielleicht wird unser Gebäudekomplex, unser „ Feldherrenhügel“ hier in späteren Zeiten auch einmal ein Museum werden, und diese Klasse ist dann verstreut in alle Welt, die so hoffe ich doch noch unter einem gutem sozialistischen Stern oder eben auch nicht stehen wird!“
„Und eines Tages, vielleicht in 33 Jahren auf den Tag genau finden sie sich wieder hier zusammen, stehen so auf dem Hof wie heute und werden über die Vergangenheit reden, eventuell zum Abend in eine Kneipe gehen, gut essen und trinken, ehrliche Gespräche führen, so wird es sein.“
Und zwei Männer und ihre Träume standen noch eine Weile am Fenster und schauten in den Innenhof.

Dienstag, 5. März 2013

Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 16.Teil, Ort, die Stadt O nahe der sowjetischen Garnison am Nachmittag des 9.Tages.

„Max, die Russen kommen, die Russen kommen“, dieser Satz ging Max Grünrock, Oberförster in O. nicht mehr aus dem Sinn.
Der Alte macht mich noch ganz verrückt, mit seinem ständigen Gebrabbel aus der alten Zeit“, die doch längst Vergangenheit war, schon lange abgelegt, in der Schule bis zum Erbrechen durchgekaut worden war, so dachte er und der „ Alte“ war sein achtundachtzigjähriger Vater Josyf, wohnhaft im Pflegeheim am Schneewittchenweg und das wiederum grenzte an die Bahnstrecke nach Schwerin . Man dachte sich wohl damals schon, als das neue Heim errichtet wurde, es würde die alten Leutchen nicht stören, ständig etwas Betrieb vor der Nase zu haben. So würde es nie langweilig werden und auf der Strecke war immer was los.
Manchmal wackelten richtig die Wände, wenn die Schnellzüge in etwa fünfzig Meter Entfernung mit 120 Stundenkilometern vorbeirauschten und der Alte saß ständig am offenen Fenster, Winter wie Sommer und wollte seine Züge sehen. Der würde sich noch mal den Tot holen, aber wohl erst, wenn er Hundert würde!
„Seine Züge“, seine 1 D2-Heißdampf-Zwillings-Schnellzugslokomotive Baujahr 1935, die er früher selbst als Heizer geführt hatte und er erzählte damals ständig von einem gewissen Steckel, dem Lokomotivführer Steckel mit dem er immer nach Auschwitz unterwegs war…ja, bis die Russen ihn am Arsch gekriegt hatten, so im Juni 1945 herum in der längst vergangenen Zeit und ihn dann gleich mit nach Russland genommen hatten, zusammen mit diesem Steckel, denn Lokomotivführer und Heizer mit Berufserfahrung wurden gebraucht, im großen Lande Lenins und diesem Väterchen Jossif Stalins, von dem sein Vater dummerweise noch den ähnlichen Vornamen trug.
Aber deswegen hatte er wohl überlebt und der Steckel nicht, den der Typhus hinweggerafft hatte.
Erst mussten sie mit tausenden Anderen, auch vielen deutschen Frauen darunter die alten Gleisanlagen in harter Knochenarbeit wieder aufbauen, die diese Wehrmacht mit dem Schienenwolf bei ihrem Rückzug komplett zerstört hatte, und dann, so ab dem Tode Stalins 1953 herum, da durften er wieder eine neue Lok führen, nachdem er die Umschulung zum Dampflokschlosser bestanden hatte und unterwegs war er diesmal auf dem alten Handelsweg, der „Großen Sibirischen Eisenbahn“, die mit ihren 9470 Kilometern Länge die kürzeste und bequemste Verbindung zwischen Europa und den Ländern des Fernen Ostens war.
Ja, ja, sein Vater konnte schöne Geschichten erzählen und nur wenn er, der kleine Max immer auf das Thema Auschwitz kam, blockte der Alte ab, musste auf einmal seinen Mittagsschlaf halten, die Mutter komischerweise gleich mit, ob sie wollte oder nicht, und er lauschte dann immer an der Schlafzimmertür und hörte viele Ah…Oh, so als würde die Mutter singen oder der Vater musste seine Briefmarkensammlung sortieren obwohl noch fünf Minuten vorher seine Auge im Eifer des Erzählens wie wild und hellwach geglänzt hatten.
Später dann wusste Max , warum? Nun hatte der Alte schon früher einen Fotofimmel, auch damals auf der Rampe in Auschwitz hatte er immer heimlich aus dem Führerstand der Lok seine Fotos gemacht und Max wusste schon als Kind, wo der Schuhkarton mit den alten vergilbten Fotos, ja, wo der Alte ihn versteckt hatte. Da sah er Kinder, die waren so alt wie er damals, bevor er in die Schule kam, und ihre Mütter hielten sie fest, ganz fest an sich gepresst. In der Schule, im Geschichtsunterricht erfuhr er dann, was mit ihnen geschehen war, und das ließ ihn nicht wieder los, er musste seinen Vater darüber löchern, ob er damals schon um die Zusammenhänge wusste, aber der hatte auf einmal Gedächtnislücken, der alte listige Fuchs.
„ War er deswegen ein Förster, ein Jägermeister geworden, um die alten Füchse zu überlisten“ und Max musste bei diesem Gedanken jetzt leise lachen? Denn seine engsten und treuesten Freunde nannten ihn scherzhaft „Salve Einundfünfzig Tot“, aber das hing wohl eher mit seiner Liebe zum Kartenspiel und den Waffen, so der alten Makarow zusammen, die er gesetzeswidrig im Schrank liegen hatte, eigentlich schon längst hätte abgeben müssen. Aber deswegen war er seinem Vater nicht böse, im Gegenteil, er mochte ihn sehr, und so schenkte er ihm zu seinem achtzigsten Geburtstag eine teure Spiegelreflexkamera der neuesten Sorte, eine PRAKTICA super TL von PENTACON, weil er wusste, sie besitzt eine gute Bildschärfe. Das bereute er, Max heute noch , und hätte er nur nicht dieses Geschenk gewählt sondern ein anderes, denn ständig wollte der Alte seine Filme entwickelt haben und da ging viel Zeit und Geld drauf, die er lieber im Wald verbracht hätte.
Denn schon im Entwicklerbad sah er das Endresultat und das waren Lokomotiven über Lokomotiven der unterschiedlichsten Bauart und was davon hier so im Lande alles vorhanden war, das war schon erstaunlich. Volle zwei Wände in seinem kleinen Zimmer hatte der Vater damit zugekleistert und schon wieder lag ein Film in seiner kleinen Dunkelkammer in der Schale und die ersten Umrisse waren schon zu erkennen….doch da stutzte Max Grünrock, rieb sich die Augen aber das was er sah war noch unverändert auf dem Negativ…und er hielt es gegen das Licht…es verschlug ihm die Sprache, da hing ein Mensch außen an einem der letzten Güterwagons eines der Kohlezüge , die von Senftenberg, dem Senftenberger Kohlerevier nach Hamburg täglich hier um eine bestimmte Zeit die Strecke befuhren und Minuten später, das Bild war entwickelt und vergrößert hatte er Gewissheit, der Alte hatte Recht, die Russen waren nicht gekommen, sie waren unterwegs, wohl illegal unterwegs. Es war wohl ein Soldat aus der hiesigen Garnison und komisch, nicht mal der Buschfunk in seiner SED-Kreisleitung hatte geflüstert? Irgendwie kam ihm die Sache spanisch vor,
das musste er unbedingt mit ABV besprechen, seinem Freund aus dem Jagdkollektiv und er nahm jetzt das Vergrößerungsglas und tatsächlich, das war ein sowjetischer Soldat in Tarnuniform , dies war auf dem Farbfilm deutlich trotz der Nachtaufnahme zu erkennen und er hing an einem Seil wie ein Trapezkünstler und versuchte wohl den zweitletzten Wagen zu erklimmen.
Er musste auch den Alten fragen, wann diese Aufnahme entstanden war und hoffentlich hatte er nicht wieder seine Aussetzer, das alte Schlitzohr, so wie zu seiner Kinderzeit.
Also der Vater hatte eine verdammt ruhige Hand für sein Alter, das musste er neidlos anerkennen, der knipste wie ein junger Gott aber eben im Kopf war er nicht mehr so helle und Max dachte mit Grausen daran, ob er selbst einmal so ein hohes Alter erreichen würde?
Dann schon lieber vorher tot umfallen, so bei der Jagd, dann konnten sie ihn gleich mit Jagdhörnerklang und Halali im Kreise seiner Schützen beerdigen, so schön in der Reihe mit den Rothirschen, den Damhirschen und dem Schwarzwild.