Sonntag, 14. April 2013

Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 21. Teil, die sowjetische Garnison in O. am Vormittag des 11. Tages.

Oberst Konstantin Kandow fühlte eine warme Hand, die seine kleine Kinderhand ganz fest hielt. Er träumte, er war ein Knabe von vielleicht fünf Jahren und die Mutter zog ihn mehr als ihm lieb sein konnte über eine lange Dorfstraße, deren Ende er nicht übersehen konnte, da Feuer und Qualm die Umgebung völlig verdunkelten, das aus den einfachen russischen Holzhäusern zu kommen schien, die wie ein Spalier die staubige Dorfstrasse zu beiden Seiten eingrenzten. Er hörte Kanonendonner, welcher aus der Ferne zu kommen schien und sah Menschen in panischer Hast mit ihnen rennen. Unzählige Stimmen drangen an sein Ohr, Mütter riefen mit Angst in der Stimme nach ihren Kindern und er sah seinen Großvater Artjom, einen kleinen aber kräftigen blonden Mann mit dem Gewehr in der Hand ihnen zuwinken, so als sollten sie zu ihm kommen aber sein Großvater stand weit entfernt, zu weit entfernt und die Mutter schrie ihm etwas zu, was wie…“ Rette dich und kämpfe“ klang, aber der Großvater schien es nicht zu hören, der alte fast taube Mann und auf einmal waren da Soldaten mit ihren gefleckten Tarnanzügen unter ihnen und einer von ihnen mit vielen Sommersprossen im Gesicht versuchte die Mutter zu packen aber sie kratzte und biss, sie spuckte ihm ins Gesicht doch ein furchtbarer Schlag traf sie beide und schleuderte sie zu Boden und auf einmal war da ein Raum und er hörte die Mutter leise wimmern und er sah Männer, auch diese Sommersprossen über ihr und hörte dessen und der Männer höhnisches Lachen.
Er wollte sich die Ohren ganz fest zuhalten, aber das ging nicht, denn seine kleinen Hände waren an das Bettgestell gebunden, so das sie schmerzten, er sah ganz nah die staubigen Stiefel der Männer aus feinsten Leder und Minuten wurden zu Stunden und der Tag wechselte über in die Nacht und das Wimmern der Mutter hatte aufgehört, schon eine ganze Weile aufgehört.
Auf einmal waren seine Hände frei und er suchte die Hand der Mutter, die über den Bettrand hing, aber er fühlte ihre Eiseskälte und die Angst krampfte sein Herz zusammen und eine Stille war im Raum, nur von ferne hörte man den Donner der schweren Geschütze..
Der Knabe, der er war schlief ein und die Szene wechselte und irgendjemand schien ihn zu tragen und sein Kopf schlug gegen den Köcher eines langen Bogens, er roch den vertrauten Geruch des Vaters und er sah Männer mit ihnen laufen und Einer zwinkerte ihm zu, wie um ihm Mut zu machen und er sah die anderen Männer in ihren gefleckten Tarnanzügen links und rechts des Weges aufgereiht liegen, nur die Stiefel fehlten an ihren Füssen, so als hätte man ihnen die Lust aufs marschieren für immer genommen. Aus ihren toten starren Augenhöhlen kamen Hände und fassten nach ihm so wie vorher nach der Mutter aber der Mann der ihn trug schlug sie mit seinem langen russischen Schwert , was in der Dunkelheit blitzte wie das Wetterleuchten am Horizont kraftvoll und zugleich leicht ab, so als mähte er wie ein Schnitter mit der Sense des Todes und seine Wärme übertrug sich auf ihn, er klammerte sich an ihn und er fühlte sich wieder geborgen wie in einem riesigen Getreidefeld im Sommer zur Erntezeit.
Und so liefen sie und das Getreidefeld endete und eine Brücke, deren Pfeiler in der Mitte mit ihren stolzen Bogen im Wasser zu liegen schienen, tat sich vor ihnen auf, und entlang ihrer Uferböschung standen Unmengen Pferdefuhrwerke vollgeladen mit Sack und Pack und Menschen über Menschen. Panzer zwischen ihnen verstärkten diese bedrohliche Kulisse, er sah Kinder so alt wie er mit Angst in den Augen und auf einmal begann er zu frieren, denn der eisige Wind aus dem Osten wirbelte riesige Schneeflocken auf und schien sich auf dem großen Fluss zu einem gewaltigen Schneesturm zu entwickeln Da nahm der Mann ihn von den Schultern und hüllte ihn in einen riesigen weichen warmen Pelz und er sah junge Frauen so wie seine Mutter und Männer mit den Gesichtern von Mongolen, Usbeken, Tartaren, Ukrainer, Juden , Russen in der Uniform seines Großvaters, sie fassten nach den Frauen, die sich sträubten, kratzten, bissen und schrieen und er hörte das wimmern der Mutter unter diesen Frauen und auf einmal ward er selber dieser Mann mit dem Bogen und er hörte sich zu einer Frau an seiner Seite, die wie ein Kommissar in ihrer Lederbekleidung aussah sagen…Erschießen , lassen sie das Gesindel sofort erschießen, Genossin Sokolow und er sah in das ungläubige Gesicht der rothaarigen jungen Frau von Vadim Sokolow neben sich , das zu sagen schien…“aber es sind doch Väter so wie sie unter ihnen, gute Genossen und wertvolle Kämpfer … Genosse Oberst …und Berlin ist nicht weit, der Sieg wird unser sein“, doch wieder hörte er seine zornigen Worte…“haben sie meinen Befehl nicht verstanden „und dann, nach einer ganzen Weile sah er in die ungläubigen Gesichter der toten Mongolen, Usbeken; Tartaren, Ukrainer, Juden und Russen, die auf einmal vor ihm aufgebahrt lagen, in ihren Särgen in Blumen gebettet und wieder war er der Schnitter des Todes, aber er fühlte sich gut dabei., so als fiele eine unheimliche Last von ihm ab.
Nur die Stiefel, die hatte man ihnen auf ihrem letzten schweren Weg gelassen.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter und er sah in das Gesicht von Vadim Sokolow, doch es schien irgendwie zu verschwimmen und die Hand ließ nicht los und schüttelte ihn…Konstantin war wach und sah in das Gesicht seines Adjutanten, des jungen Sonnylow Popow.
„ Sie hatten geschlafen, Genosse Oberst und die Besprechung mit diesem deutschen Genossen, diesem Alfred aus Berlin beginnt in exakt zehn Minuten“, dann nahm Sonnylow Haltung an und der Oberst winkte ab, der Adjutant verließ leise den Raum.
Er liebte diesen Jungen in seinem Auftreten und seiner ehrlichen Art und vielleicht würde er sein Nachfolger werden, aber es war ja noch Zeit bis dahin.
„Werde einer schlau aus diesen verdammten Deutschen und alles wollen sie immer ganz genau wissen“, dachte er so bei sich und er beschloss auf der Hut zu sein vor diesen deutschen Uniformen, die ihn doch allzu sehr an eine längst vergangene Zeit erinnerten
Nur den Traum, seinen Traum, den hatte er schon vergessen.
Ihm fielen die Worte des Großvaters ein…“Mach es wie die Reiter von Budjonny,“ nur was dieser gemacht hatte, das hatte der Alte nie gesagt und da er als Kind dessen Namen nicht richtig aussprechen konnte, kam immer ein „Buscho…ni“ heraus.
Er griff nach der Flasche Reiswein, die er von seinem letzten Besuch in Nordvietnam mitgebracht hatte, und schenkte das Wasserglas randvoll. Es wurde Zeit für den deutschen Genossen und im Stehen leerte er das Glas in einem Zug.

Sonntag, 7. April 2013

Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 20. Teil, Ort, die Konsumverkausstelle in Zweedorf am Morgen das 11. Tages.

Kerstin Drewitz war so alt wie der Konsum selbst, in dem sie als Verkaufsstellenleiterin schon über einen längeren Zeitraum arbeitete. Ihr Opa Achim, sie hatte ihn noch als einen bärtigen alten Mann in Erinnerung, er sagte immer zu ihr: „ dein Geburtsjahr ist 1945“. Nun konnte sie als kleines Mädchen Wörter, die mit großem „G“ begannen nicht aussprechen, und fragte sie einer, wann sie geboren ist, kam ein“ dein 1945“ aus ihrem Mund. Das war immer sehr lustig anzuhören und später erzählte er ihr noch , das ihr Geburtsdatum mit dem Befehl Nr. 176 der sowjetischen Militär- Administration zusammenfiel, nach dem am 18.12. 1945 diese im Einklang mit den Vorschlägen der Arbeiterpartei dem Neubau der Konsumgenossenschaften und mit der Rückgabe der Vermögenswerte die Rechtsgrundlage für die KG, für deren Tätigkeit geschaffen hatten.
Schon als kleines Mädchen wollte sie Verkäuferin werden und ihr Traum ging in Erfüllung. Nun hieß es verteilen, nein nicht die Grundnahrungsmittel so wie Mehl, Zucker, Salz, Brot, Brötchen, Milch und dutzenden Anderes, es hieß die Bananen und Apfelsinen verteilen, wenn denn im großen Auslieferungslager, der Handelsgenossenschaft in Ludwigslust mal einige dieser Kisten aus dem Überseehafen Rostock ankamen.
Denn als erstes nahm sich der Lagerleiter Dieter Dombrowski und sie konnte diesen schmierigen Hund nicht leiden, obwohl er ebenfalls ein „Dieter 1945“ war, was sie in seiner Personalakte gelesen hatte, die ihr der Parteisekretär einmal so rein zu zufällig überlies.
Bei ihm wusch eine Hand die Andere und sie hatte diese Unverfrorenheit schon öfters in der Parteiversammlung angesprochen, aber die Genossen schienen einfach völlig taub zu sein, hatte doch dieser Dieter Beziehungen bis in oberste Kreise, bis ins Boizenburger Fliesenwerk, die Grenzkompanien, die Stäbe und die Werft.
So arbeiteten Soldaten, die im wahren Leben Maurer, Maler, Fliesenleger, Heizungsmonteure und Gas-Wasser –Schei…Klempner waren in seinem großen Eigenheim in Vier und er nannte es frech „sozialistische Hilfe“, dieser Drecksack. Das alles wusste sie von diesem kleinen pfiffigen Mario, diesem Exfreund von Susanne, die auch ihre Freundin war.
Dafür kannte sie die Kraftfahrer des Auslieferungslagers, so den schönen Bruno Bärlauch aus Dömitz und wenn er denn mal da war, half sie ihm immer mit beim abladen und kannte seine Leidenschaft für tief ausgeschnittene Blusen und Kleider und noch kürzere Miniröcke, die doch jetzt in diesem Sommer 1977 der neueste modische Schrei waren.
So blieb sie öfters einmal oben auf der Ladefläche und er unten, dann bückte sie sich tief und es sollte ihr stets zum Vorteil gereichen, wollte sie doch in ihrem kleinen Dorfkonsum geliebt und geachtet werden.
Er war ihr völlig erlegen, der alte Lustmolch und so verlor er schon mal drei Kisten Bananen und die Apfelsinen dazu oder vergaß sie einfach wie in stiller Übereinstimmung, dass sie zur nächsten Lieferung wieder dieses raffinierte kurze Teil anhaben würde.
Er nannte sie immer zärtlich mein blonder Engel und sie ihn Bärchen und es war ihr nicht unangenehm, weil er immer Abstand wahrte und nicht aufdringlich neben seinen sonstigen Leidenschaften wurde
Die Frauen standen heute früh schon Schlange, denn der Buschfunk schien immer noch zu funktionieren und sie sah in der Reihe die junge Susanne Baumann, die alte Martha Sawatski, Frau Rhönimann aus Schwanheide und die Frau vom Grenzhelfer Woschinski, dem alten Fiesling und Anschwärzer, obwohl sie deren tauben Sohn, den Wolfgang wirklich ganz gut leiden konnte.
Seine Orgelkompositionen hörte man an manchen Tagen kilometerweit und sie gefielen ihr wunderbar, erzeugten sie doch immer so ein angenehmes wollüstiges Gefühl unterhalb der Bauchgegend, denn ihr Mann war im Gegensatz zu diesem sensiblen Wolfgang ein Kunstbanause, der nur seine trockene Arbeit auf der GÜST- Schwanheide im Kopf hatte.
Denn seine Lieblingsbeschäftigung war Zonenreisende ärgern und das konnte er gut, wirklich gut, so wie er manchmal am Abend erzählte.
Nur sie vergaß er immer über sein Bier und die verdammte Glotze und sie konnte sich schon gar nicht mehr erinnern, wann es zwischen ihnen das letzte Mal…es war schon zu lange her und konnte es daran liegen, das es mit Nachwuchs einfach nicht klappte, weil er doch so gerne Kinder wollte, nur machen tat er auch nichts dafür, der Schlappschwanz und so stürzte sie sich in ihre Arbeit, wollte in einigen Wochen auch nebenan aus diesem Anbau einen großen Getränkestützpunkt eröffnen.
Susanne gefiel ihr heute gar nicht, denn tiefe Augenringe sprachen eine berede Sprache und bestimmt war da wieder ein „Neuer“ aus den Kompanien und als sie an der Reihe war, wirkte sie irgendwie nervös, konnte kaum ihren Blick erwidern, obwohl sie sonst eine Quasselstrippe war. Auch Marie, ihre Tochter war doch bei den Eltern und dann auf einmal heute ein ganzes Dreipfundbrot, obwohl sie stets, so lange sie ihre Freundin kannte, nur immer ein Halbes kaufte?
Da war doch irgend etwas im Busch und Kerstin beschloss, heute nach Feierabend einmal bei ihrer Freundin vorbeizuschauen.