Samstag, 26. Januar 2013

Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 5.Teil.
Ort, eine Lagerhalle im VEB-Spezialhandel, einer Stadt nahe der Garnison O. im Monat Juli 1977.

Der UAZ Geländewagen nahm eine große weite Kurve und hielt am Ende des großen Lagerhallenkomplexes.
Olga Nedkowiza stand eine ganze Weile am Fenster der kleinen Damentoilette und beobachtete das Fahrzeug, aber keiner der Insassen stieg aus. Das geht jetzt schon Tage so, dachte sie“ Frau Gräfin, diese Dina Sokolow hatte wohl Sonderrechte, weil der Herr Gemahl…brauchte wohl nicht mit den anderen Frauen gemeinsam zum frühen Morgen hoch auf dem alten Lastkraftwagen“…zu klettern, da klappte die Wagentüre auf und Olga sah eine Männerhand, die nur die Hand der jungen Frau für einen ganz kurzen Moment festhielt. Es war wie eine intime Geste, eine Berührung, es war nur ein kleiner Moment, aber Olga hatte schon genug gesehen.
„ Also war es doch wahr, was die anderen Frauen so tuschelten“, dachte sie, diese rothaarige Dina hatte ein Verhältnis, ein Verhältnis mit einem der jungen Offiziere ihres Mannes.
Der Wagen startete jetzt und Olga sah den Fahrer, einen hübschen Blondschopf von vielleicht 26 Jahren noch winken, dann war der dunkelgrüne Geländewagen aus ihrem Sichtbereich verschwunden und sie sah Dina frohgelaunt und in ihrem typischen wiegenden Gang den Eingang der großen Halle anstreben.
Da ging die Türe auf und die dunkelhaarige Lalka kam herein. Olga lächelte ihr für einen Moment zu, dann schloss die Tür hinter ihr und sie lief über den langen Gang ganz langsam zum Frauenumkleideraum.
Sie nahm sich vor, ihre jüngere Freundin zur Rede zu stellen, ehe hier noch ein Unglück geschehen würde. Mit Wehmut und Bitternis dachte sie an die Seitensprünge ihres Mannes Oleg und wie oft er sie schon mit diesen jungen Weibsbildern betrogen hatte, so das letzte Mal mit der kleinen Mongolin aus dem Magazin.
Sie wäre nie darauf gekommen, wenn damals diese vielen Bilder, die Bleistiftzeichnungen nicht hinter seiner Staffelei gelegen hätten.
An diesem Vormittag vor einem Jahr kam sie zeitiger von der Arbeit, es ging ihr nicht so gut, und ihr Mann war auf dem Rollfeld zugange, wie immer.
Er war so vernarrt in seine Fliegerei, ihr Oleg, aber noch vernarrter in seine Malerei, denn die große alte Villa, die sie sich mit den Sokolows teilten und die etwas abseits des riesigen Kasernengeländes im Wald lag, sie quoll schon über von den ganzen Zeichnungen, eine wilde Kampfszene reite sich an die andere bis in Höhe der schönen alten Stuckdecken, eine große Luftschlacht löste die Nächste ab, sie sah nur noch trudelnde amerikanische Flugzeuge, am Boden zerstörte Hubschrauber, brennenden Dschungel, lebende menschliche Fackeln, Tote, Lebende, vietnamesische Kämpfer und ihre Gegner, schießende Mi Gs und ihr Oberstleutnant Oleg Nedkowiza wie ein großer Held dazwischen mit seinem Kampfflugzeug aber nie, niemals eine Frau.
Noch nicht einmal sie wollte er malen, als sie ihn in einer sentimentalen Phase darum bat, an dem Tag, wo er aus Afghanistan nach langem Erkundungsflug wieder zurück war. Aber als sie das weiße Handtuch lüftete und zu ihm in die große fürstliche Marmorwanne stieg, da konnte er nicht mehr zurück. Später dann fuhr er mit ihr auf das kilometerlange Rollfeld und malte sie.
Kein Wachposten störte ihre Abgeschiedenheit, diese göttliche Ruhe, das Zirpen der Grillen und die erregende Wärme der Sonne auf ihrer nackten Haut an diesem zeitigen Sonntagmorgen, es wäre ihr auch egal gewesen, denn ihr Oleg, der Fliegerheld und Sieger in unzähligen Luftgefechten hätte ihn sofort wegtreten lassen.
Seine Olga in Öl im Cockpit seiner MiG, deren Düsenaggregat noch warm von dem langen Flug war, er mit der Staffelei auf der Tragfläche stehend und ihr einziges Bekleidungsstück war sein Pilotenhelm. Dann wollte er sie und sie erkannte ihren Oleg gar nicht wieder. So dachte sie dumme Kuh in ihrer Naivität, er liebte wohl nur sie und seinen Beruf?
Und dann das, diese Bleistiftskizzen, sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen, die Rada aus dem Sanitätsbataillon im Cockpit seiner silbernen MiG , mit nichts als nichts an und nicht nur diese Rada allein, nein, diese ganzen Hündinnen hatte er auf den Tragflächen, stehend, liegend und in vulgären Posen verewigt.
„Wie er die bloß alle aufs Rollfeld bekommen hatte?“
Sie musste jetzt unwillkürlich laut lachen, und sie schaute sich erschrocken um, aber der lange Gang war menschenleer.
Olga zündete sich eine lange Zigarette an, eine Marlboro, denn dieses amerikanische Zeug war erst gestern gekommen und sie genoss den wunderbaren würzigen Geschmack auf der Zunge, dann trat sie vor die Tür und zog den Zigarettenrauch tief ein.
Sie stellte sich vor, wie er wohl reagieren würde, wenn sie, Olga mit einem anderen Mann zusammen im Bett…und die Vorstellung verursachte ihr sofort Gänsehaut.
Aber ihr gutmütiger Oleg und liebender Vater ihrer Kinder war nicht dieser gut aussehende Vadim Sokolow, dieser geheimnisvolle große braungebrannte Mann, der sie jedes Mal schwach in den Beinen werden ließ, wenn er in ihre Nähe kam, wenn sie sich im Treppenhaus begegneten. Diesen Mann umgab ein Geheimnis, das ihr ein Kribbeln verursachte, wie sie es bei ihrem Oleg schon lange nicht mehr gespürt hatte und sie verstand die Dina nicht, ihre junge Ehe so aufs Spiel zu setzen.
Olga Nedkowitza aus einem kleinen Dorf bei Kiew, schon zehn Jahre in der sowjetischen Garnison O. wohnhaft, Mutter von zwei Kindern und Ehefrau des Fliegerhelden Oberstleutnant Oleg Nedkowitza beschloss, so lange mit dem Rauchen aufzuhören, bis diese unheilvolle Sache mit ihrer jungen Freundin aus der Welt geschafft war.
Und so trat sie die amerikanische Zigarette aus, zerrieb sie mit ihren Pumps auf dem grauen Betonboden.

Rainer-Maria Rohloff

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