Freitag, 15. Februar 2013

Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 13.Teil, Ort, das Dorf Zweedorf unmittelbar im 500-Meter Schutzstreifen am Morgen des 9.Tages.

Susanne Baumann hatte nicht geschlafen. Sie stand vor der Kaffeemaschine und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Der Soldat stand hinter ihr an den Türrahmen gelehnt und beobachtete sie und er war sich nicht sicher, ob diese junge Frau seine Bemühungen, ihr die ganze, seine verdammte Situation zu erklären, überhaupt begriffen hatte.
Er hatte gezeichnet, wunderschön gezeichnet gestern Abend im Dämmerlicht der Dachbodenbeleuchtung auf Maries großen Schulzeichenblock. Anfangs verstand sie nichts, überhaupt nichts, hatte sogar Angst, das er ihr etwas antun könnte, aber diese Ruhe in seinen Versuchen, sich zu erklären, flösste ihr irgendwie Vertrauen ein.
Sie sah eine rothaarige Frau und einen blonden Mann, das sollte wohl er sein und er malte ein Herz darüber, dann war da einer mit einer Pistole und den strich er durch, er hatte ihn wohl getötet mit einem Messer, an das er rote Tropfen mit Maries Buntstiften malte, das große Messer, was er in einer Art Lederhalterung an seine Wade geschnallt hatte, als sie ihn beim anziehen seiner Sachen aus den Augenwinkeln beobachtet hatte,
Ihr Schulrussisch half ihr anfangs nicht weiter und er war wohl in derselben Situation, deswegen kam er auf diese Art der Verständigung und das konnte er wirklich gut, er lachte oft und gestikulierte, wenn er nicht gerade zeichnete und sie hatte das Gefühl, trotz seiner schlimmen Situation hatte er den Mut noch nicht verloren, irgendwie wieder da raus zu kommen.
Sie sah Männer an Fallschirmen und Panzer an noch größeren Schirmen und er schien wohl zu einer Art Luftlandeeinheit zu gehören, doch soviel er auch zeichnete, da war auf einmal eine Angst in ihr, die er nicht mit ihr teilte. Sie hörte wie damals die Stimme ihres Vaters, der eines Abends sagte:“ Der Russe ist tot, von seinen eigenen Leuten bei Horst…“und er schien wohl das letzte Wort nur anzudeuten und sie war noch ein Kind als er an diesem kalten Wintertag vor vielen , vielen Jahren im Flur mit ihrer Mutter sich leise unterhielt..
Damals konnte sie noch nicht richtig einordnen, was er damit überhaupt meinte, erst später, als sie ihn einmal danach mit ihren Fragen löcherte , erzählte er ihr die ganze Geschichte.
Es war eine sehr traurige Geschichte, „der Alptraum eines jeden Grenzsoldaten“, so meinte er an ihrem Schluss, die nicht wie ein Märchen endete.
An diesen Tagen kam er immer spät nach Hause und seine Uniform an der Garderobe war schmutzig und die Angst ihrer Mutter damals, die sie irgendwie spürte, als Kind spürte, wenn sie sie ins Bett brachte, war ihre Angst jetzt.
Aber ihr Vater konnte hier nicht helfen, war schon lange nicht mehr Soldat, seit er diesen schweren Unfall im Grenzgebiet, dem Elbvorland bei Gothman hatte, bei dem er eine Hand verlor, und das alles verdankte er“ einer weggeschwemmten Schuhcremdose,“ so hörte sie einmal die Mutter sagen. So dachte sie immer als Kind, das Schuhcremdosen etwas besonders gefährliches seien, und machte um den kleinen Schrank im Flur stets einen großen Bogen, nichts ahnend, das damit eine Bodenmine der älteren Bauart scherzhaft von den Pionieren bezeichnet wurde, die damals ihrem Vater in seinem Kommandobereich unterstanden. Denn sie würden ihn finden, „wir haben bis jetzt jeden gefunden,“ so wieder die Worte ihres Vaters und irgendwie tat er ihr jetzt leid….da schrillte der Wecker um seine gnadenlose immer die gleiche Zeit zum frühen Morgen und sie löste sich aus ihren Gedanken, drehte sich herum und lächelte ihm freundlich zu, bat ihn dann an den kleinen Küchentisch und er nahm ganz vorsichtig Platz.

Im fernen Berlin, im Ostteil der Stadt saßen sich ebenfalls um diese Zeit und leicht übernächtigt zwei Männer gegenüber. In dem Gelände, worin sich ihr Büro befand, sah es so richtig schön architektonisch Deutsch aus. Es musste wohl Alles so weit vor 1945 errichtet worden sein.
Der Eine sah den Anderen an, und meinte“ unser Quelle hat gesprudelt“. Da sagte der Andere“ davon weiß ich schon, denn auch unsere Quellen sprudeln täglich,“…. auf einmal mussten sie alle Beide lachen So tauschte man sich über die Quellen aus und es entstand noch kein so richtiges schlüssiges Bild, denn eine dritte Quelle wollte nicht so richtig sprudeln, mit ihren Informationen, um die man sie gebeten hatte, über den Tisch kommen.
Dieser Dritte hieß Oberst Kandow aus der sowjetischen Garnison in O. und er konnte seine deutschen Freunde nicht so richtig leiden, nein, nicht das er ihnen misstraute aber da war so etwas in ihm, das stammte noch aus einer Zeit, als sein Großvater als Partisan mit dem Gewehr in der Hand für eine Sache gekämpft hatte, und die Sache im Ganzen, die hieß“ Der Große Vaterländische Krieg“.
„ Diese Russen sind stur, wenn sie nicht wollen, dann wollen sie nicht“ meinte wieder der Eine, doch der Andere sagte“ Man muss das auch verstehen, denn unsere Großväter und Väter wollten sie ja einmal mit ihren Granaten vom alten Krupp in die Steinzeit zurückbomben“ und“ So etwas legt man nicht über ein paar Jahrzehnte ab, nur weil sie auf einmal unsere Freunde geworden sind“.
„ Verstehe ich sie richtig, meinte der Jüngere von Beiden, dass die Sowjets, also das sie uns immer noch misstrauen?“
„Ja, Genosse Wolzow, das denke ich, aber es tut unserer Freundschaft keinen Abbruch“ und damit lehnte sich Alfred Bergemann gemütlich im Sessel zurück.
Einen Cognak, gefällig, mein junger Freund…und Wolzow stammelte“ doch nicht schon am…Morgen.
Ach was, der bringt uns nicht um, meinte Alfred Bergemann und kurz darauf stieß Glas an Glas mit einem satten Klang.
Darf ich ihnen einmal ein Kompliment machen, Oberst sagte Gisbert Wolzow nach drei Gläsern feinstem französischen Weinbrand: „ Ihre Uniform sitzt wirklich sehr gut“.
„Ich wusste noch nicht, dass sie ein Freund von Uniformen sind“, meinte der Oberst, also Prost, auf die deutsch-sowjetische Freundschaft, mein junger Freund.

Rainer-Maria Rohloff

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