Mittwoch, 6. Februar 2013

Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 9.Teil, Ort, das Dorf Zweedorf., unmittelbar im 500-Meter Schutzstreifen am Abend des siebenden Tages..

Das dunkle Haar der jungen Frau wedelte im Fahrtwind, sie hatte die Kleinstadt Boizenburg an der Elbe hinter sich gelassen und fuhr jetzt die lange gerade Landstraße über Heidekrug in Richtung der kleinen Bahnstation Schwanheide.
Ihre Uhr am Handgelenk zeigte kurz vor achtzehn Uhr und sie sah, dass der Straßenkontrollposten auf der linken Seite nicht besetzt war
„ Wie immer“, dachte sie. Aber wer sollte hier schon Fremdes kommen, hier kannte jeder jeden und ein unbekanntes Gesicht wäre sofort aufgefallen. Susanne Baumann hatte andere Sorgen. Sie dachte an die Worte ihrer Tochter Marie, die seit gestern ständig etwas von….ja, es hörte sich in ihrem Kinderkauderwelsch wie Mann…Mann…. oben…Mann…oben…an.
Die Kleine hatte sie heute bei ihren Eltern gelassen, sie würde ein paar Tage Ruhe vor dem Wildfang haben und es war August, sowieso Ferien und Urlaubszeit.
Sie wurde nicht schlau aus ihrem Gebrabbel, sollte sich etwa der junge Anton, der Nachbarsjunge auf dem Hof herumgetrieben haben?
„ Wie alt der Junge heute sein mag“, und sie überlegte jetzt, denn bei solchen Verrückten war das gar nicht so leicht zu schätzen. Die Leute im Dorf erzählten sich über ihn, das er ein Inzuchtkind, ein Produkt aus Cousin und Cousine sei. Ihre Mutter hatte mal gemeint, das sei eigentlich eine Ausnahme in den Grenzdörfern, da hier doch viel frisches Blut durch die Grenzer hineingetragen wurde und ihr Vater scherzte gleich, ob es wohl auch bei ihnen so gewesen sein könnte. Dann hatte wohl die Mutter von Anton, die alte Martha mit ihrem Cousin im Bett gelegen. Na ja, die sah auch nicht ganz dicht aus, redete kaum und wenn sie mal im Konsum war, dann war sie auch genauso schnell wieder draußen und unterhielt sich nicht mit den anderen Frauen.
Die Männer wurden auch immer weniger im Dorf, denn es zogen keine jungen Leute zu, eher nur weg ins Neubaugebiet, wo ihre Eltern wohnten.
Susanne musste an der Schranke in Schwanheide halten. Der Personenzug nach Hamburg setzte sich gerade in Bewegung, die Lokomotive ächzte und schnaubte, Qualm hüllte sie ein und der ältere Mann in der schwarzen Montur auf dem Führerstand lächelte ihr zu, ganz im Gegensatz zu den anderen Gesichtern hinter den Scheiben der Waggons, die irgendwie gequält aussahen.
Als fiele eine Anstrengung von ihnen ab, so sahen sie aus, die von drüben.
Der Schlagbaum öffnete jetzt, und sie trat den Starterhebel der kleinen Schwalbe durch, sie nahm sich vor, heute Abend einmal in der Scheune nachzuschauen, ob noch alles beim Alten war, denn sie traute diesem verrückten Anton nicht.

Chaim Jahudin träumte, die Antonov 225 flog sehr hoch über der Wolkendecke und er saß im Halbdunkel der Innenbeleuchtung und beobachtete die Männer, die in der Mitte einen Tanz aufführten, sogar die Verwundeten und Getöteten waren darunter und sie fasten sich an den Händen, bildeten einen Kreis im Bauch der riesigen Transportmachine und tanzten ausgelassen zum Klang der Balalaikas. Die drei Kampfhubschrauber waren sicher verstaut im hinteren Teil und ihre Rotorblätter drehten auf Höchstleistung, so als gelte es, gleich wieder zum nächsten Gefecht zu eilen.
Aber komischerweise hörte man keinen Laut, fühlte keinen Wind, es war nicht eine Luftbewegung zu spüren.
Die Männer herzten ihn jetzt und jeder wollte ihm etwas schenken, aus Dankbarkeit, denn ihr junges Küken hatte sie heraus gehauen, ihnen in dieser verzwickten Situation in diesem Sulaimantal das Leben gerettet. Aber irgendwie schämte er sich , wehrte ihre Versuche ab, ihn in den Kreis der Tänzer einzugliedern und sein Gesicht, wie von dunkler Röte überzogen sah er wie in einem Spiegel., den Oberst Vadim Sokolow, der vor ihm kniete, entgegenhielt.
Über die Lautsprecher kam eine Stimme“ Fertigmachen, Landeanflug auf dem Roten Platz in fünf Minuten“ und er konnte zwischen den Männern, deren Tanzkreis öffnete einen eisernen Käfig stehen sehen und darin saß ein Mensch, gekleidet wie ein Afghane, der ständig lachte, so als würde er sie auslachen. Der Mann schüttelte sich, klopfte sich auf die Brust und schrie fortlaufend “Ich bin Sulaiman, der Gefürchtete und Mohammed wird mich rächen, mein Mohammed wird euch russischen Hunde richten.“
So stopf ihm doch endlich das Maul, Chuckin, rief einer der Männer, so mach doch schon, aber Chaim sah, das sein Freund die Stirn in Falten gelegt ihn unentwegt ansah, so als wollte er ihm etwas sagen, er öffnete den Mund aber heraus kamen Seifenblasen und füllten den Innenraum, zerplatzten mit dumpfen Knall an den schnell drehenden Rotorblättern.
Da öffnete ganz langsam die riesige Frachtklappe im Heck und auf einmal hatten die Männer Paradeuniformen an, ja, auch er blickte an sich hinunter und wie er wieder aufsah, schob der Riese Chuckin Lepzin den Käfig zum Rand der Luke und er, Chaim wollte ihm hinterher, ihn festhalten, aber er konnte den Sitz nicht verlassen, denn dieser verdammte Sicherheitsgurt ließ sich nicht öffnen, so sehr er auch daran zerrte.
Da sah er diesen Wurfanker in Chuckins Hand und sein Freund stieß den Käfig mit einem Tritt nach draußen und wie ein Lasso warf er das lange elastische Seil, erfasste den Käfig und wirbelte ihn im Strom der Turbolenzen und der Afghane schrie um sein Leben, schrill, das seine Ohren zu schmerzen begannen während die Augen seinen Freund nicht loszulassen schienen, von ihm, so als wollte er damit etwas ausdrücken.
Dann ließ er los, sprang hinterher und im selben Moment öffnete sein Sicherheitsgurt und er sprang mit den Männern zusammen in einer Formation, die in der Luft wieder einen Kreis bildete.
Auf einmal sah er das Lenin-Mausoleum, die Mauern des Kreml und er fasste nach der Reißleine, aber da war keine Reisleine, kein Fallschirm, die Hände der Männer ließen ihn los und rasend schnell näherte er sich einer großen Tribüne, die voll von Menschen war und er sah ein Gesicht in der Menge, das des Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets Leonid Iljitsch Breshnew, der zu ihm herauf lächelte.
Dieser hielt ihm einen Orden mit ausgestreckten Armen entgegen und er fiel auf in mit einer Wucht, das alles um ihn erschütterte und die Nadel des Ordens bohrte sich in seine Brust, qualvoll, schmerzhaft tief….und mit einem Ruck war er wach.
Spitze Zinken einer Mistgabel saßen auf seiner breiten Brust, nagelten in fest im Heuhaufen, auf dem er lag, nackt wie ein Säugling ,er fasste blitzschnell nach seinem Messer aber da war kein Messer und jetzt erst sah er in das gar nicht ängstlich aussehende Gesicht der jungen Frau vom Bauernhof, was im Halbdunkel des Dachbodens nichts von seiner Anmut an Reiz zu verlieren schien.
„ Verdammt, wer bist du“, schien ihr Gesichtsausdruck zu fragen. Da hob er ganz langsam, in Zeitlupe die Hand und fasste die Zinken, wie um sie nicht zu erschrecken, und der Druck auf seiner Brust ließ etwas nach.

Rainer-Maria Rohloff

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