Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 18. Teil, Ort, das Dorf Zweedorf im 500- Meter Schutzstreifen im Morgengrauen des 11. Tages.
Der Soldat lag neben ihr, hatte das Deckbett fast über die Ohren gezogen und schnarchte ganz leise vor sich hin. Susanne Baumann dagegen war wach, hellwach und versuchte zu rekonstruieren, was gestern Abend überhaupt geschehen war. Es war dieser Rumtopf, er war an allem Schuld und der
Auslöser und sie war ihm überhaupt nicht böse, ganz im Gegenteil. Denn
sie fühlte eine innerliche Entspannung wie schon seit ewigen Zeiten
nicht mehr, seit im letzten Jahr ihr längerer fester Freund Reinhard so
einfach aus ihrem Leben getreten war, mit dem Ende seiner Soldatenzeit
, als wäre es die normalste Sache der Welt ganz einfach verschwunden war. Dazwischen kamen Andere wie der kleine lustige aber draufgängerische Mario, der immer meinte, „ Einer der Stetlinger“ zu sein, so als wäre er vom sozialistischen Adel, dieser Typ aus Thüringen, den sie ab und zu noch sah, wenn er bei Begegnungen aus seinem LO herüberwinkte oder auch mal anhielt, um eine ganze Weile mit ihr zu plaudern.
War sie deswegen ein „ Grenzerflittchen“, so wie die Alten hinter vorgehaltener Hand im Konsum flüsterten? Nein, sie war eine junge selbstbewusste Frau von 24. Jahren und zu einer Frau gehört ein Mann, so oder so ähnlich hatte Großmutter immer zu
ihr gesagt, als sie noch ein kleines Mädchen war. Nur das sie eben noch
nicht den Richtigen gefunden hatte, er war ihr einfach noch nicht über
den Weg gelaufen.
Die Pille machte es
unkompliziert und gesund waren sie alle, diese jungen Grenzsoldaten und
nein, sie wollte einfach keine Langweiler im Bett, so wie den „schönen
Matthias“ aus Boizenburg, der Chefaufreißer im Klubhaus, dessen Schnauze größer wie sein Ding war, also wenn schon denn schon musste es einer sein, so wie der junge unbedarfte Russe, der jetzt neben ihr lag und dessen Gesicht gerade im Traum wie zu lächeln schien.
„
Susanne Ruhluff“, nach Reinhard seinem Nachnamen, so hätte sie heute
eventuell mit Familiennamen geheißen, sie dumme Kuh und nur gut, das ihr
rechtzeitig ein Licht aufging, das da noch eine zweite Frau war, in
einer fernen Stadt im Sächsischen. Wann hatte sie ihn eigentlich das
erste Mal gesehen, diesen blonden Soldaten im Trupp des Nachfolgers ihres Vaters und ihr fiel das Klubhaus in Boizenburg an diesem heißen Sommertag im Jahr 1976 ein.
Dort
hatte er sie aufgefordert zum Tanz und er ließ sich einfach nicht
abwimmeln, so dass ihre Freundinnen schon blöde Bemerkungen machten
wegen seiner Hartnäckigkeit.
Anfangs war sie nicht so erbaut aber er tanzte besser wie die
Jungen aus ihren Freundeskreis und drehte sogar im Discorhythmus
alleine seine Runden, wenn ihr nicht gerade nach tanzen war, und es
störte ihn überhaupt nicht, dabei von den Anderen neben der Tanzfläche begafft zu werden wie im Zoo.. Er überhörte einfach ihre blöden Bemerkungen, so als wären ihm die ganzen Landeier Luft und nur einmal packte ihn einer der Boizenburger Jungen in seinem Suff an der Uniform und betitelte ihn als schwule Kantentunte aber da waren sofort Soldaten von seinem Tisch auf der Tanzfläche und der Einlassdienst musste eingreifen, so das die Situation nicht eskalierte. So als schien er in einen Traum versunken, drehte er sich nach dem Klang der Musik von Karat und das gefiel ihr, seine jungenhafte Unbekümmertheit, die sie an einen Schauspieler erinnerte, nur der
Name fiel ihr jetzt nicht ein. Oh ja, er war schon ein Schauspieler
aber das merkte sie erst später, als sie ihn zum ersten Mal mit dieser
älteren Frau in Boizenburg sah.
Er war anders als die Anderen und er konnte reden, reden wie ein sprichwörtliches Buch so das ihr schon ganz schwummrig im Kopf wurde, was der viele Alkohol dann noch extrem verstärkte und irgendwann waren sie dann draußen und er nahm ihre Hand und zog sie über die Straße ins Elbvorland zwischen die dichten Büsche auf die riesige Rasenfläche.
Er ließ überhaupt keine Widerrede zu und es war ihr auch egal, so betrunken und leicht wie sie sich beide fühlten und es war schön im Elbvorland zu liegen, eigentlich schon im 500- Meter Schutzstreifen mit einem Grenzer, der
wie ausgehungert schien und auf einmal kaum noch redete und nur noch
machen wollte, an ihr rummachen wollte und sie an ihm nicht weniger.
So ergab eines das Andere, die Zeit schien hinter einem der Büsche schon längst und für immer verschwunden zu sein und sie hätte ewig so liegen können mit ihm, wenn da nicht eine Stimme, wohl die eines Unteroffizier gerufen hätte, die zum Aufbruch drängelte und auf einmal schienen die Büsche neben ihnen zu
erwachen wie aus dem Dornröschenschlaf, Uniformen und Kleider wurden in
aller Hast geordnet und zugeknöpft, eine Ladeklappe von einem LO
klappte mit lautem Knall nach oben und wurde verriegelt und was ihr
damals blieb, war ein Name und ein Ort, sein Name und der Stab in Noostorf, dem ehemaligen Arbeitsplatz ihres Vaters..
„Na
fein“, dachte sie und das kann ja heiter werden. Nun war er auch noch
im Minentrupp von diesem jungen Nachfolgers ihres Vaters und ihn,
ihren Vater wollte sie nicht fragen, wusste sie doch, dass er
berufliches und persönliches nicht so gern miteinander verband.
Nun
begann eine sehr schöne Zeit und irgendeiner musste da ständig
nachgeholfen haben, denn sie trafen sich öfters, nur soviel KU (
Kurzurlaub)bekam kein Mensch, geschweige denn ein ganz normaler
Grenzsoldat und sie schob es auf seine Gefreitenbalken und den Einfluss
ihres Vater, der aber auch nie einen Ton sagte, immer nur lächelte, wenn sie sich ausgehfertig machte, um Reinhard zu treffen.
Er wusste wohl, wie es um sie bestellt war, und nur die Mutter zog ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter und meinte immer, sie vernachlässige über die
Männer ihr eigenes Kind, das aber bei den Eltern gut aufgehoben war,
wenn sie Montag Morgens zur Tür hereinschneite, glücklich und wie
ausgelassen nur ein paar Worte wechselten., ehe sie immer auf Arbeit in die Fliesenfabrik musste.
Die Wochen vergingen wie im Flug und der Sommer neigte sich seinem Ende zu, da bekam er auf einmal keinen Ausgang und sie war so naiv zu glauben, es hinge mit einer Erkältung zusammen, die er vorgeschoben hatte.
Ihr Vater machte ein ernstes Gesicht, so wusste er doch die ganze Zeit schon um Reinhards Doppelleben was so viel hieß wie hier die
Geliebte und da im fernen Sachsen Ehefrau und Kinder. Aber er wollte
wohl das kleine Glück seiner Tochter so lange wie möglich beschützen,
obwohl er genau wusste, dass dieses nicht von Dauer sein würde.
Junge, was war sie blöd zu glauben die Einzige zu sein.
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