Sonntag, 3. Februar 2013

Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 8. Teil
Ort, ein Dorf. im Sulaimantal/ Afghanistan ,Mai 1977.

Die Gruppe lief an den Rändern der Dorfstrasse, in der Dunkelheit sich gegenseitig sichernd. Der Soldat sah Gesichter, doch er konnte sie nicht genau deuten, denn sie sahen aus wie Masken, grell geschminkt, so wie er sie einmal in einem völkerkundlichen Buch in seiner Kindheit gesehen hatte Sie waren in den Fenstern, den Türen der niedrigen Hütten, mal tauchten sie auf und im nächsten Moment waren sie wieder verschwunden und er sah Fackeln in den Händen der Männer seiner Gruppe, ja, auch er hielt eine brennende Fackel in der Hand und das Wachs tropfte ihm auf den Handrücken, aber er spürte irgendwie den Schmerz nicht. Ihm genau gegenüber, auf gleicher Höhe lief Oberst Vadim Sokolow, er sah irgendwie jünger aus und lächelte ihm zu wie um ihn zu ermutigen, denn diese ganze Umgebung kam ihm Furcht und Angst einflößend vor, so als wäre es sein erster Einsatz unter gefechtsmäßigen Bedingungen fern von allen Übungen, die er bisher absolviert hatte.
Ein Wink des Oberst, ein Pfiff, und die Gruppe stand, verhalten, ohne einen Laut, ein Geräusch zu verursachen und nur das Knistern der Fackeln, das Atmen der Männer war um sie in der Kühle der Nacht und er wollte am liebsten zu den Hubschraubern zurück, die wie eine sichere Burg hinter ihnen in vielleicht eintausendfünfhundert Metern am Rande dieses Tales standen.
Nur ihre Positionslichter sah er wie einen einzigen Punkt leuchten, so als wären diese drei Mi-24 verschmolzen
Aber die Augen des Oberst schienen zu sagen: Solange ich hier bin, mein Junge, neben dir, solange bist du sicher aber er fühlte sich doch beschissen und die Angst presste ihm die Kehle zu, am liebsten wäre er losgelaufen, zurück zur sicheren Burg der Kampfhubschrauber aber da war ein Laut, wie ein Kinderwimmern und es schien aus der Hütte rechts von ihm zu kommen.
Die Frau im Halbdunkel war sehr schön, dunkles langes Haar umrahmte ihren nackten Oberkörper, der Säugling an ihren vollen Brüsten saugte mit Hingabe und dar kleine Junge in der hölzernen Wiege neben ihr gab diese Laute von sich, die sie vor Sekunden noch wahrgenommen hatten und er hörte einen der Männer hinter ihm sagen“ sie sieht aus wie die Maria mit dem Kinde“. Angst stand in den Augen der Frau, die nervös flackerten aber Chaim Jahudin hatte das dumme Gefühl, das diese Angst nicht durch die Männer verursacht wurde sondern von einer anderen Sache herrühren musste. Wie eine Königin saß sie da, auf einer Unmenge von wild aufeinander geworfenen Teppichen wie auf einem Thron
„Es sind Menschen vom Stamme der Afriedi oder Schienwari, ihre Vorfahren waren wohl Räuber“, meinte leise der Oberst und sie sind es auch heute noch.
Ein Wink von ihm, und die Männer durchsuchten die anderen Hütten, aber außer vielen Frauen , Kindern und alten Leuten war keine Menschenseele aufzufinden..

Sie konnten nicht wissen, dass Abdul Sulaiman, der Räuber und Anführer der Schienwari durch Hirten gewarnt worden war, und noch rechtzeitig die große Menge Sturmgewehre amerikanischer Bauart, die erst gestern durch eine Karawane hierher verbracht worden waren, auf seine Weise versteckt hatte.
So dachte er zumindest, denn er saß nicht weit entfernt inmitten einer Herde von Schafen und er hatte doch diesem schmierigen Amerikaner mit dem Gesicht einer Zitrone und den Augen eines Frosches sein Wort gegeben, das er sie mit seinem Leben behüten würde, und er, Sulaiman und auch schon seine Vorväter brachen nie ihr Wort, das hatte er ihm noch hoch und heilig versichert.
Sein Stamm war arm, schon immer und jeder, der hier durch die Schluchten und Täler der Sulaimankette kam, tat gut daran, besser nicht zu rasten, wollte er nicht riskieren, ausgeplündert zu werden.
Doch dieser Amerikaner hatte ihn irgendwie an den Eiern gepackt, seit er ihn zum ersten Mal vor ein paar Monaten auf diesem Markt in K. begegnet war.
Waren es die Unmengen, diese Bündel von Dollars oder das verführerische Leben nach westlichem Vorbild, was ihm dieser Mann zu nahe gebracht hatte?
Es kämpfte in ihm, es zerriss ihn förmlich und er dachte an diese blonden schwedischen Schwestern mit dem ständigen Abbagedudel, zwischen deren langen Schenkeln und spitzen Brüsten er in diesem Hotelzimmer erwacht war, nach dieser langen Nacht mit der Zitrone in der kleinen Hotelbar, wo dieser ihn mit dem verdammten Gin Tonic abgefüllt hatte.
Sein Kopf unter dem Turban brummte heute noch und er dachte mit Scham an die Sachen, die diese Nattern mit ihm zum frühen Morgen veranstaltet hatten.
Da wurde er urplötzlich aus seinen Gedanken geschreckt, denn eine Stichflamme loderte in der Dunkelheit, keine hundert Meter vor ihm inmitten des Dorfes, dort, wo die Gewehre lagen, vergessen waren diese schmierige Zitrone und die Waffen, er schrie nach Mohammed , seinem Lieblingssohn, dann erst , in dieser Reihenfolge kam ihm Suleika, seine Lieblingsfrau und die anderen acht Nebenfrauen und zwanzig Kinder in den Sinn und er stürmte mit seinen Männern los, diesen ungeliebten Russen zu zeigen, was es heißt, wenn er, Sulaiman irgend jemanden sein Wort gab.
Was war in der Zwischenzeit geschehen?
Chaim Jahudin hatte sich sein Gehirn zermartert.“ Das hatte er doch schon mal in einem deutschen Märchen gelesen, das die Prinzessin auf der Erbse“…so wie die Frau auf dem Stapel von Teppichen saß und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, als die kleine Gruppe nach erfolgloser Durchsuchung der ärmlichen Hütten zur Beratung zusammen saß, und überlegte, ob die Aufklärer nicht doch das falsche Dorf identifiziert hatten
Alles nachfolgende war eine Handlung von Minuten, denn der Befehl lautete, Waffen und Munition gleich vor Ort zu vernichten, unbrauchbar zu machen.
Da ertönte ein Geheul, ein Gebrüll und es schien aus allen Richtungen zu kommen , im nu waren wild aussehende Männer unter ihnen, Messer blitzten, Fackeln erloschen, ein brutaler Kampf Mann gegen Mann entbrannte, kurze Feuerstöße und langes Gestöhne wechselten sich ab und er Chaim Jahudin stand wie ein Unbeteiligter am Rande und blickte wie gelähmt auf diese unwirkliche Situation.
Er sah den Oberst, seinen Oberst Vadim Sokolow, denn wie der russische Recke Kara Kontschar stand er in der Mitte des Dorfplatzes und wehrte dieses Rudel von Angreifern mit bloßen Händen ab.
Da fiel mit einem Male die Lähmung von ihm und er, Chaim kniete nieder in sichere Position und Schuss für Schuss erlöster er seinen Recken von diesem Rudel Mongolen und die Männer ebenfalls aus seiner Deckung heraus.
Er war John Rambo, dieser Vietnamveteran, den er mal im Film gesehen hatte, sein Abzugsfinger krümmte sich in Sekundentakt und Zielerfassung ,klack, klack, klack wie um die Schatten zu verbannen und eine Ruhe war in ihm, wie er sie noch nie gespürt hatte.

Rainer-Maria Rohloff

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