Samstag, 19. Januar 2013

Die Große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde Teil 1

Der Soldat saß einfach nur da, angelehnt an einen Stützbalken der den Giebel des Heubodens trug, er hatte die Beine lang ausgestreckt, die Maschinenpistole auf seinen Knien und streichelte den kühlen Stahl während sein Blick langsam die Dunkelheit des riesigen Dachbodens zu durchdringen schien.
Die Hitze des Augusttages im Jahr 1977 trieb ihm die Schweißperlen auf die Stirn und er wischte mit dem Ärmel seines Kampfanzuges darüber. Sie drückte wie eine Glocke, wie eine Last, und so war er froh hier zu sitzen, entspannt, leicht, so als wäre Tage vorher nie etwas Anderes geschehen.
„ Das kleine Mädchen hatte ihn gestern gesehen“, da war er sich sicher, sie hatte ihn gesehen.
„ Aber sie war noch ein Kind von vielleicht drei Jahren und Kinder erfinden auch Geschichten“, dachte er so bei sich.
„ Ob sie noch ältere Geschwister hatte und ob Sie ihn hier vermuten würden, seine Jäger, so weit westlich?“ Nein, dazu hatte er seine Spur zu gut verwischt und dieser Gedanke gab ihm jetzt eine gewisse Ruhe.
Er nahm eines der Eier, die neben ihm auf dem Boden lagen, schlug dessen Enden an der Waffe auf und trank es langsam schlürfend aus.
„ An Hunger würde er hier bestimmt nicht sterben, in diesem Dorf so nahe an der Grenze, auch nicht an Durst“, dazu hatte man ihn damals in den Bergen des Hindukusch zu gut auf das Überleben trainiert.
„ Denn das Wasser für die Katze stellte diese junge Frau, wohl die Mutter des Mädchens jeden Morgen frisch an den Aufstieg, der zu ihm nach oben führte“.
„ Sie war sehr hübsch, diese junge Frau so hübsch wie seine Irina“.
„ Wie lange war das jetzt her, und ob sie überhaupt noch an ihn dachte?“ wie unbewusst zerkrümelte er jetzt die Schale des Ei zwischen seinen kräftigen Händen, dann schob er die Hand unter das Heu in seinem Rücken. Nur keine Spuren hinterlassen, er dachte sofort wieder klarer.
Er hatte sie beobachtet, diese junge Frau seit gestern Morgen. Ihr Tag fing sehr früh an, fast so wie bei ihm in der Kaserne.
Punkt 5.00Uhr klingelte ein lauter Wecker, den hörte er bis zu sich hier oben, denn sie schlief wohl bei offenen Fenster, dann waren vertraute Geräusche im Haus, eine ganze Weile, wie er sie von Zuhause aus kannte.
Zehn Minuten vor 6.00 Uhr kam sie in die Scheune, mit einer Lederjacke, die ihn an die Kommisare der roten Armee erinnerte und schob das Moped auf den inneren Hof, der den großen Dreiseitenhof umgab. Das kleine Mädchen auf dem Kindersitz verließ sie das Anwesen in flotter Fahrt, um gegen 16.30Uhr wieder herein zu kurven.
Irgendwo raschelte es jetzt unter ihm und er fasste die Waffe am Abzugshebel und lauschte in die Dunkelheit, aber es waren wohl nur die große Anzahl Hühner, die sich einen Platz für die Nacht suchten, und sein Griff entspannte sich langsam wieder.
In der Ferne erklang Motorengeräusch, kam rasch näher und er kroch auf allen Vieren zu dem Fenster, das wie ein Entenauge auf der Nordseite des Heubodens in das große Dach eingefasst war.
Plötzlich hörte er seinen Herzschlag, laut wie einen Hammer, der auf einen Amboss schlug und er zwang sich zur Ruhe, während sein Blick den Lastkraftwagen erfasste, der mit abgeblendeten Scheinwerfern in dem Licht der Straßenlaterne langsam näher kam, dann mit einem groben Ruck hielt.
Die Ladeklappe fiel mit lautem Poltern nach unten, und zwei Soldaten mit allerhand Zeug am Tragegeschirr, was ihre Körper wie ein Korsett einfasste, sprangen auf den harten Betonplattenweg, der an dem Gehöft in vielleicht dreißig Metern vorbei führte. Kurze knappe Worte wechselten mit Stimmen auf der Pritsche, dann wurde die Klappe geschlossen und das Fahrzeug setzte sich wieder in Bewegung, und verschwand in der Dunkelheit
Er schaute jetzt auf seine Uhr, deren grünes Leuchtzifferblatt in der Dunkelheit ganz gut zu erkennen war.
„ Wachablösung“, so hieß das wohl bei Ihnen und wie gestern fast auf die Minute genau.
„ Also wenn diese Deutschen etwas können, dann pünktlich sein“, das hatte sein alter Vater immer gesagt, wenn er vom großen vaterländischen Krieg erzählte.
Er musste unwillkürlich lächeln und Einer der Beiden, der Größere zündete sich jetzt eine Zigarette an und blickte aufmerksam in seine Richtung. Das Licht des Streichholz zeigte ein junges Gesicht von vielleicht achtzehn Jahren und der Soldat am Entenauge zuckte jetzt zurück in die Dunkelheit.
Aber dieser Junge hatte ihn nicht gesehen, schulterte jetzt seine Waffe und die beiden Posten setzen sich langsam in Bewegung. Schon nach einer Minute bereits hatte Sie die Dunkelheit verschluckt, und er schlich zu seiner Ausgangsposition zurück.

Rainer-Maria Rohloff

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen