Mittwoch, 23. Januar 2013

Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 4. Teil
Ort, die sowjetische Garnison in O., am Morgen des siebenden Tages.

Die Männer hatten ihn umringt. Sie standen nur da und sprachen kein Wort.
Er sah finstere bärtige Gesichter und er sah Sorge, Zorn, Fragen, Ablehnung, Wut, Hass in ihren Blicken. Die Mündungen ihrer automatischen Waffen waren auf ihn gerichtet, unheilvoll aber er verspürte keine Angst.
Einer von ihnen hielt ein Kind in seinem Arm, und er, Vadim konnte nicht erkennen, ob es ein Junge oder Mädchen war, denn es war in weißes Leinen verhüllt und sein Kopf hing nach unten, das konnte er sehen, so als wäre es gestorben
Da teilte sich die Gruppe langsam, wie in Zeitlupe zu einem Spalier und aus seinem Zimmer wurde ein riesengroßer Hangar (Flugzeughalle), und er sah einen ASU 57, einen Luftlandepanzer der älteren Bauart genau in seiner Mitte stehen.
Auf ihm saßen seine Männer, die ganze Gruppe wie zum Gefecht bereit und zwischen ihnen saß Natascha, in einem blütendweißen Kleid, das Kanonenrohr zwischen den Beinen, die schmalen langen Finger umfassten den kalten Stahl wie einen Phallus und der Motor des Panzers lief auf Höchstdrehzahl, seine Auspuffwolken hüllten den ganzen Hangar ein und er fühlte sich so leicht, wie als wurde er getragen, in seinem Stuhl, ja, jetzt konnte er es sehen, da waren rechts der bärenstarke aber gutmütige Chuckin Lepzin und links Chaim Jahudin, der Jude, und Stolz war in ihren Blicken ob ihres Oberstleutnant, denn sie trugen ihn wie einen König aber er war ein Kind, ein Junge von vielleicht sechzehn Jahren.
So wie er an sich herunter sah, trug er die Uniform der Komsomolzen, des kommunistischen Jugendverbandes der Sowjetunion, und er saß aufrecht und stolz, so als ginge es zu einer ehrenvollen und verdienten Auszeichnung.
Mit einem Schlag erstarb das Motorengebrüll und er hörte die helle erregende Stimme von seiner Natascha, die ihm zurief:“ Lass uns tanzen, Vadim, für uns, für unsere Jugendliebe“ und sie sprang vom Panzer und Musik hub an, denn auf einmal hatten die Bärtigen Männer statt ihrer Kalaschnikows Instrumente in den Händen und Natascha, seine Ballerina wirbelte dazwischen wie ein Wind, wie ein Steppenwind.
Da bildeten sie alle einen Kreis und er schritt auf sie zu, verbeugte sich tief, und wie er ihre Hand ergriff, da wart er ein Mann, ein schöner Mann in seiner goldbetressten Uniform und im rhythmischen Klang der Musik, der Balalaikas und dem Stampfen der Stiefel der Männer vergaß er alles um sich herum und aus den vielen Drehungen mit Natascha wurde auf einmal finstere Nacht, die Musik erlosch, nur Pfeifen von Wind war in seinen Ohren und weit unter sich, in der finsteren Nacht blinkte wie ein Landefeuer der Punkt, wo seine Gruppe das sichere Ziel erreichen sollte.
Er trug Natascha in seinem Arm, eingehüllt in weißes Leinentuch so wie das Kind im Arme des Bärtigen, weiß wie ein Totentuch und er hielt sie fest an sich gepresst doch sie war schwer, viel zu schwer für den Fallschirm und für ihn und ihr Kopf hing so leblos herab wie der des Kindes.
Da krampfte die Angst sein Herz zusammen und er wollte schreien aber er konnte es nicht.
Er sah die Abschüsse des Gegners, Leuchtspurgeschosse aus dem Gebirgsmassiv zu seiner rechten schwirrten vorbei doch die Thermik trug in davon weg, weit, weit weg und auch den Zielpunkt sah er nicht mehr, nur Finsternis hüllte ihn noch ein.
Licht flammte urplötzlich auf, es waren die Lichter des Luftlandepanzer von vorhin, dieser schwebte neben ihm in gleicher Höhe an drei riesigen Lastenfallschirmen und auf ihm stand wie ein junger Gott der Elitekämpfer Chaim Jahudin, Bester seiner Einheit und er war stolz auf den Jungen mit den Augen eines Adlers und den Krallen eines Schneeleoparden, denn er war Einer von denen, die Intelligenz mit Kraft und Ausdauer vereinten, der nie aufgab und das war sein Werk, das war seine harte Schule, durch die diese Jungen gehen mussten.
So erwuchs aus seiner Angst um Natascha Stolz, der ihm wieder die alte Kraft verlieh, doch dieser verdammte jüdische Hurensohn schrie ihm jetzt zu“ Sie ist doch schon lange gegangen, ihre Natascha, merken Sie es denn nicht….?... so lassen Sie doch los, Genosse Oberst, verdammt noch mal, lassen Sie doch los, denn sie wird auch Sie töten und wir alle werden dadurch sterben!“
Da kam der kleine Panzer ins Trudeln, langsam drehte er sich um seine eigen Achse, die Spitze des Kanonenrohr kam ihm bedrohlich nahe, streifte ihn fast und immer schneller rotierte der dunkle Stahl in der Dunkelheit und er sah, wie dieser Haudegen mit einer wilden Entschlossenheit sprang, wie er sie von sich kannte, als er noch ein junger Soldat war und im Sprung riss dieser ihm Natascha aus den Armen und verschwand in der Dunkelheit, ein weißer Schleier der zu einem Punkt verschmolz, dann nach einer ganzen Weile gänzlich verschwand und er, Vadim war allein.
Nein, allein war er nicht, da war ein Gesicht vor ihm, das den eines Usbeken ähnlich sah und etwas schüttelte ihn ganz vorsichtig.
Der Oberstleutnant Vadim Sokolow war wach und der junge Usbeke mit dem ängstlichen Gesicht nahm Haltung an: „ Befehl vom Stab, ein Vorfall auf dem Rollfeld verlange sein sofortiges Erscheinen“.

Rainer-Maria


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