Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 4. Teil
Ort, die sowjetische Garnison in O., am Morgen des siebenden Tages.
Die Männer hatten ihn umringt. Sie standen nur da und sprachen kein Wort.
Er sah finstere bärtige Gesichter und er sah Sorge, Zorn, Fragen, Ablehnung, Wut, Hass in ihren Blicken. Die Mündungen ihrer automatischen Waffen waren auf ihn gerichtet, unheilvoll aber er verspürte keine Angst.
Einer
von ihnen hielt ein Kind in seinem Arm, und er, Vadim konnte nicht
erkennen, ob es ein Junge oder Mädchen war, denn es war in weißes Leinen
verhüllt und sein Kopf hing nach unten, das konnte er sehen, so als
wäre es gestorben
Da teilte sich die
Gruppe langsam, wie in Zeitlupe zu einem Spalier und aus seinem Zimmer
wurde ein riesengroßer Hangar (Flugzeughalle), und er sah einen ASU
57, einen Luftlandepanzer der älteren Bauart genau in seiner Mitte stehen.
Auf ihm saßen seine Männer, die ganze Gruppe wie zum Gefecht bereit und zwischen ihnen saß Natascha, in einem blütendweißen Kleid, das Kanonenrohr zwischen den Beinen, die schmalen langen Finger umfassten den kalten Stahl wie einen Phallus und der Motor des
Panzers lief auf Höchstdrehzahl, seine Auspuffwolken hüllten den ganzen
Hangar ein und er fühlte sich so leicht, wie als wurde er getragen,
in seinem Stuhl, ja, jetzt konnte er es sehen, da waren rechts der bärenstarke aber gutmütige Chuckin Lepzin und links Chaim Jahudin, der
Jude, und Stolz war in ihren Blicken ob ihres Oberstleutnant, denn sie
trugen ihn wie einen König aber er war ein Kind, ein Junge von
vielleicht sechzehn Jahren.
So wie er an sich herunter sah, trug er die Uniform der Komsomolzen, des kommunistischen Jugendverbandes der Sowjetunion, und er saß aufrecht und stolz, so als ginge es zu einer ehrenvollen und verdienten Auszeichnung.
Mit einem Schlag erstarb das Motorengebrüll und er hörte die helle erregende Stimme von seiner Natascha, die
ihm zurief:“ Lass uns tanzen, Vadim, für uns, für unsere Jugendliebe“
und sie sprang vom Panzer und Musik hub an, denn auf einmal hatten die
Bärtigen Männer statt ihrer Kalaschnikows Instrumente in den Händen und
Natascha, seine Ballerina wirbelte dazwischen wie ein Wind, wie ein
Steppenwind.
Da bildeten sie alle einen Kreis und er schritt auf sie
zu, verbeugte sich tief, und wie er ihre Hand ergriff, da wart er ein
Mann, ein schöner Mann in seiner goldbetressten Uniform und im
rhythmischen Klang der Musik, der Balalaikas und dem Stampfen der Stiefel der Männer vergaß er alles um sich herum und aus den vielen Drehungen mit Natascha wurde auf einmal finstere Nacht, die Musik erlosch, nur Pfeifen von Wind war in seinen Ohren und weit unter sich, in der finsteren Nacht blinkte wie ein Landefeuer der Punkt, wo seine Gruppe das sichere Ziel erreichen sollte.
Er trug Natascha in seinem Arm, eingehüllt in weißes Leinentuch so wie das Kind im Arme des
Bärtigen, weiß wie ein Totentuch und er hielt sie fest an sich gepresst
doch sie war schwer, viel zu schwer für den Fallschirm und für ihn und
ihr Kopf hing so leblos herab wie der des Kindes.
Da krampfte die Angst sein Herz zusammen und er wollte schreien aber er konnte es nicht.
Er sah die Abschüsse des Gegners, Leuchtspurgeschosse aus dem Gebirgsmassiv zu seiner rechten schwirrten vorbei doch die Thermik trug in davon weg, weit, weit weg und auch den Zielpunkt sah er nicht mehr, nur Finsternis hüllte ihn noch ein.
Licht flammte urplötzlich auf, es waren die Lichter des
Luftlandepanzer von vorhin, dieser schwebte neben ihm in gleicher Höhe
an drei riesigen Lastenfallschirmen und auf ihm stand wie ein junger
Gott der Elitekämpfer Chaim Jahudin,
Bester seiner Einheit und er war stolz auf den Jungen mit den Augen
eines Adlers und den Krallen eines Schneeleoparden, denn er war Einer
von denen, die Intelligenz mit Kraft und Ausdauer vereinten, der nie aufgab und das war sein Werk, das war seine harte Schule, durch die diese Jungen gehen mussten.
So erwuchs aus seiner Angst um Natascha Stolz, der ihm wieder die
alte Kraft verlieh, doch dieser verdammte jüdische Hurensohn schrie ihm
jetzt zu“ Sie ist doch schon lange gegangen, ihre Natascha, merken Sie
es denn nicht….?... so lassen Sie doch los, Genosse Oberst, verdammt
noch mal, lassen Sie doch los, denn sie wird auch Sie töten und wir alle
werden dadurch sterben!“
Da kam der kleine Panzer ins Trudeln, langsam drehte er sich um seine eigen Achse, die Spitze des Kanonenrohr kam ihm bedrohlich nahe, streifte ihn fast und immer schneller rotierte der dunkle Stahl in der
Dunkelheit und er sah, wie dieser Haudegen mit einer wilden
Entschlossenheit sprang, wie er sie von sich kannte, als er noch ein
junger Soldat war und im Sprung riss dieser ihm Natascha aus den Armen
und verschwand in der Dunkelheit, ein weißer Schleier der zu einem Punkt verschmolz, dann nach einer ganzen Weile gänzlich verschwand und er, Vadim war allein.
Nein,
allein war er nicht, da war ein Gesicht vor ihm, das den eines Usbeken
ähnlich sah und etwas schüttelte ihn ganz vorsichtig.
Der Oberstleutnant Vadim Sokolow war wach und der
junge Usbeke mit dem ängstlichen Gesicht nahm Haltung an: „ Befehl vom
Stab, ein Vorfall auf dem Rollfeld verlange sein sofortiges Erscheinen“.
Rainer-Maria
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