Mittwoch, 30. Januar 2013

Die große Reise des Chaim Jahudin zum Mittelpunkt der Erde, der Geschichte 7.Teil
Ort, die sowjetische Garnison in O, am Vormittag des siebenden Tages.

Der gelernte Kesselschmied und Dienstältester seiner kleinen Einheit Chuckin Lepzin saß inmitten von Teilen der Bordkanone und Raketen, die vor den silbernen geöffneten Behältern der Mi-24 lagen, alles schön sorgsam ausgebreitet um den großen Kampfhubschrauber im Gras am Rande der Rollbahn und dachte an seinen Freund Jahudin.
Dieser Gedanke bereitete ihm Sorge, ja leichte Magenschmerzen aber sein Bauchgefühl sagte ihm, dass dieses junge blonde Schlitzohr noch lebte. Aber selbst wenn nicht, würde er es wohl nie erfahren, dazu kannte er seinen Oberst zu gut. Der fraß es lieber in sich hinein, als mit seinen Männern darüber zu reden.
Er war nicht allein auf dem weiten Rollfeld, saß im Schatten und nur fünfzig Meter weiter vorn übte eine große Gruppe junger Soldaten das Anlegen der ABC-Schutzausrüstung in der vollen Glut der Mittagssonne und er hörte die Kommandos, Zeitnahmen, diesen ganzen wenn auch wichtigen Mist, den auch er vor langer, langer Zeit einmal über sich ergehen lassen musste. Aber alles das lag Jahre zurück.
Dieser Starschina ( höchster Unteroffiziersdienstgrad/ Oberfeldwebel) mit dem Aussehen eines krummbeinigen Reiters und der Stimme einer Ziege jagte jetzt die Jungen mit den Gesichtern von Kindern in dieser brütenden Hitze über das Rollfeld und am liebsten hätte er diesem Mongolen mit seinen verdammten Schlitzaugen eine in die Fresse gehauen für diese fiese Art, die jungen Soldaten so zu schinden, aber er war hier bloß Gast in der Garnison, sozusagen auf der Durchreise, und musste sich aus allem raushalten.
Er hatte schon viel gesehen, was sein Soldatenhandwerk betraf, war erfahren genug im Umgang mit den unterschiedlichsten Waffenarten. Sein großes Land brauchte Männer wie ihn, denn so genannte „ Stellvertreterkriege“ auf dieser schönen Erde gab es genug an der Zahl, wo es galt, unterstützend für das jeweilige Freundesland gegen diese amerikanischen Kriegstreiber tätig zu werden.
So, wenn er an die Monate in Nordvietnam zurückdachte, den dort wurde er unzählige Male Augenzeuge dieses barbarischen Luftkrieges der Amerikaner, dieser angeblichen Christen, der Zerstörung von Schulen und Betrieben, von Krankenhäusern und Wohnvierteln, von Pagoden und Kirchen, Bewässerungsanlagen der Reisfelder, Straßen und Brücken.
Er sah zerfetzte Schulbücher, blutbefleckte Kleider, Krankenbetten, die aus Trümmern ragten, verstümmelte Menschen, unzählige Tote unter der Zivilbevölkerung und vor allem immer wieder Frauen, Kinder, alte Menschen.
Ein Leid, das man kaum beschreiben konnte, er hatte eigentlich schon zu viel gesehen und bekam jetzt noch die blanke Wut wegen diesen Verbrechern, um noch an das Gute im Menschen zu glauben. Und jetzt in Afghanistan, da fing wohl alles erst an, da waren sie schon wieder am Wühlen, dieses Rattengezücht, versuchten die brüderliche Hilfe und die Aufbauleistungen seines Landes mit Hilfe ihrer Verbündeten, ihrer Vasallen zu eliminieren, zu untergraben.
Chuckin dachte an diesen Abend vor sieben Tagen, als sein Freund mit blutverschmierten Händen in das Heizhaus nicht weit von der Villa gestürzt kam, völlig aufgelöst, wo er mit noch drei anderen aus der eigenen Gruppe Domino spielte.
Es sprudelte alles aus ihm heraus, der Alte und Dina und seine Pistole und das er ihn erschießen wollte in seinem Suff, weil er mit Dina….es war doch nur Notwehr, so stammelte er in seiner Hilflosigkeit, dieses junge dumme Riesenrindvieh.
Alles weitere war eine Sache von einer geschlagenen viertel Stunde, so Sachen packen, Notproviant und alles was der junge Jude zum Überleben brauchte, dann halfen ihm kräftige Hände und Schultern den am weitesten östlich gelegenen Zaun im weiten Gelände zu überwinden.
Er half ihm seinem Freund in die richtige Spur, denn darin war er, Chuckin Lepzin ein Meister und er hätte sich jetzt selbst auf die Schulter klopfen können, und zwar in diesem Legen von falschen Fährten.
Das hatte ihm sein Väterchen schon als kleinem Jungen in den Weiten der Taiga beigebracht, wenn sie mal wieder zum wildern waren und die Genossen von der Kolchose ihnen zu nahe auf den Pelz gerückt waren, um sie anschließend vors Parteibüro zu zerren, aber da war der Alte schlauer wie sie und gab es an seinen Sohn weiter.
„ Halte dich östlich, aber dann, an dieser Bahnstrecke, die wenige Kilometer hinter O. liegt, versuche einen Güterzug in die andere Richtung zu entern“, und Güterzüge voll beladen mit Kohle und anderem Wirtschaftsgut gab es zu jeder Tages und Nachtzeit im Minutenabstand auf dieser viel befahrenen Strecke.
„Sie müssen denken, du willst in unsere Heimat“, und er schüttelte ihn, dass er aus seinem schockähnlichen Zustand wieder klare Gedanken fasste.
Er gab ihm seinen kleinen Wurfanker mit dem elastischen Seil und beschwor ihn, so aufgelöst der Junge auch war, die Ruhe, in jeder Situation nur die Ruhe zu bewahren. Wie fieberhaft redete er auf ihn ein, selbst erschrocken über diese saudumme Sache, die sich wenige Minute vorher in der alten Villa abgespielt hatte. Der kleine Anker war sein Talisman, hatte er ihm doch schon mehrfach vor dem sicheren Tod bewahrt, und so sollte es auch bei seinem Freund bleiben.
Sie kamen gerade noch rechtzeitig zurück, zu ihrem Domino, da stand der Alte mit der Pistole in der Tür, volltrunken und mit blutverschmierter Uniform, schon nicht mehr Herr seiner fünf Sinne. Dann brach der Oberst zusammen, rutschte am Türrahmen ganz langsam herunter und im Durcheinander der folgenden Stunden gewann sein junger Freund einen Vorsprung, wie ein unschätzbarer Glücksumstand für ihn, denn erst gegen Morgen setzte die Suche nach dem Flüchtigen mit allem verfügbaren Kräften dieser Garnison ein.
Aber die Verfolger verloren seine Spur, das konnte er an ihren enttäuschten Gesichtern gut ablesen und so war seine Arbeit nicht umsonst. Sein junger Freund war erst einmal über alle Berge.
In dieser Nacht des darauf folgenden Tages schlief er einen traumlosen Schlaf.
Die Männer hielten dicht, denn auf seine kleine Gruppe war auch in dieser verzwickten und unüberschaubaren Situation Verlass und nur einer wusste mehr und das war er, Chuckin Lepzin, denn er hatte es irgendwie kommen sehen, dieses Unheil.
Diese leicht fertigen Offiziersweiber, sie bringen den Jungen noch mal ins Grab, aber das war ja auch kein Wunder, wenn der eigene Alte säuft und Frau Gemahlin zwischen den Beinen vor Verlangen fast verbrennt und er musste jetzt schmunzeln, weil er an seine eigenen wilden Zeiten mit den Offiziersweibern dachte.
Aber da war auch in jedem fremden Land eine Unschuld von Mädchen, noch nicht so verdorben wie seine früheren Geliebten, das dem Kämpfer Chuckin Lepzin mit dem Aussehen eines russischen Recken die Wärme einer Frau gab, denn er war ja auch bloß ein Mann.

Rainer-Maria Rohloff





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